Theorie und Praxis

Der Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“

Eine empirisch-religionspädagogische Analyse. Von Stefan Heil.

„Mensch und Welt“ ist die Bezeichnung für einen Gegenstandsbereich im Fachprofil Katholische Religionslehre. Das Besondere daran ist, dass er üblicherweise als erster genannt wird und keinen dezidiert religiösen Begriff enthält wie die anderen fünf Gegenstandsbereiche. Warum ist dies so? Welche theologisch-religionspädagogische Konzeption steckt dahinter? Und welche religionsdidaktischen Folgen für die Planung von Religionsunterricht ergeben sich daraus?

Der Artikel nähert sich auf empirisch-religionspädagogische Weise diesen Fragen. Er zeigt auf, welche Dimensionen in dem Begriffspaar „Mensch und Welt“ enthalten sind, sowohl schulformübergreifend im Kompetenzstrukturmodell (1) als auch schulformspezifisch in den Erläuterungen zum Fachprofil der einzelnen Schulformen (2). Daraus wird eine Systematik entwickelt, die dabei hilft, den Gegenstandsbereich als Scharnierfunktion zwischen den allgemeinen Anforderungen der Schulform und der konkreten Unterrichtseinheit kompetenztheoretisch zu verorten (3). Ein Fazit rundet den Artikel ab (4).

1. Das Begriffspaar „Mensch und Welt“

Der Gegenstandsbereich im Kompetenzstrukturmodell des Fachs Katholische Religionslehre

Der Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ ist einer von sechs Gegenstandsbereichen im Kompetenzstrukturmodell „Katholische Religionslehre“, das im Fachprofil für alle Schulformen gleich ist. Die Abbildung 1 verdeutlicht dies:

Abb.1: Mensch und Welt im Kompetenzstrukturmodell des Fachs Katholische Religionslehre
Quelle – 18.03.2022

Reihenfolge

Mensch und Welt sind zwei allgemeine Begriffe, die durch die Konjunktion „und“ als relationales semantisches Begriffspaar fungieren: Am Beginn des Begriffspaars steht der Begriff Mensch (nicht „Welt und Mensch“), was auf die dominierende Stellung des Menschen im Verhältnis zur Welt hindeutet: Nicht die Welt, wie sie ist, wird behandelt, sondern die Welt aus der Sicht des Menschen in Relation zur Welt. Der Begriff „Welt“ ist daher durch die reihende Konjunktion „und“ an den Menschen gebunden, die Konjunktion fungiert als Anknüpfung oder Beiordnung der Welt an den Menschen. Die Welt wird dadurch immer in der Perspektive des Menschen gedeutet als epistemologisches Grundprinzip.

Philosophisch-theologische Sprachspiele

Mensch und Welt sind keine dezidiert religiösen Begriffe. Warum tauchen sie dann im Kompetenzstrukturmodell auf und stehen sogar am Beginn der sechs Gegenstandsbereiche?

Die Kombination der Begriffe Mensch und Welt zu einem Begriffspaar ist zuvorderst ein Phänomen aus der Philosophie, wie es z. B. bis in den Titel hinein dezidiert in philosophischen Veröffentlichungen vorkommt (vgl. z. B. Welsch 2012). Mit dem Begriffspaar werden philosophische Fragestellungen wie die berühmten Kantischen Fragen „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“ mittels des „anthropologischen Prinzips“ angegangen (Welsch 2012, 11). Dies bedeutet, dass am Beginn der philosophischen Reflexion erkenntnistheoretische, sprachanalytische oder existenzanalytische Fragestellungen stehen, woran sich ethische und ontologische anschließen, jedoch nicht linear, sondern auf dessen Grundlage (z. B. Gabriel 2020).

Mit diesen semantischen Bereichen werden Kernfragen tangiert, deren Rationalität nach Baumert einem bestimmten Modus der Weltbegegnung folgen (vgl. Baumert 2002). Innerhalb der Baumertschen Konstitutionslogik von Wirklichkeit werden Religion und Philosophie für diese Fragen herangezogen, aber nicht weiter unterschieden. Zur Unterscheidung der Herangehensweisen ist es jedoch von Bedeutung, dass der Gegenstandsbereich aus der Perspektive der christlichen Glaubensüberlieferung heraus angegangen wird (vgl. Rössner 2009) und damit einer eigenen Handlungslogik folgt (vgl. Riegger 2019). Deutlich wird dies z. B. daran, dass in der religiösen Herangehensweise weniger erkenntnistheoretische oder sprachanalytische, sondern schöpfungstheologische, transzendentaltheologische oder ethische Themen im Vordergrund stehen, indem Phänomene der heutigen Welt mit einer dezidiert religiösen Sprache beschrieben werden wie z. B. die Gottebenbildlichkeit des Menschen.

Neben der Philosophie wird das Begriffspaar Mensch und Welt daher zu einem zentralen Theologoumenon der Theologiegeschichte besonders des 20. Jahrhunderts, z. B. bei Paul Tillich, Romano Guardini, Karl Rahner, Richard Schaeffler oder der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vaticanums. So kann Nazareno folgern: „Man kann ohne Zweifel sagen, dass besonders im 20. Jahrhundert Mensch und Welt ins Zentrum der Theologie gelangt sind und dass R. Guardini und die Pastoralkonstitution mit ihrem anthropologischen Ansatz viel dazu beigetragen haben“ (Nazareno 2020, 173; vgl. auch Torggler 2015). Der „anthropologische Ansatz“ der Theologie bedeutet – ähnlich wie das philosophisch verwendete „anthropologische Prinzip“ – dass die theologische Reflexion beim Menschen in der Welt ansetzt und von da aus (Tillich) oder transzendentaltheologisch gesprochen darin (Rahner, Schaeffler) die Frage nach Gott thematisiert wird.

Religionspädagogisch werden die beiden Begriffe in der Würzburger Synode von 1974 aufgeführt und mit der christlichen Tradition in Beziehung gesetzt (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 1974, 2.5.1). Mensch und Welt bilden zusammen ein Korrelat, das mit der christlichen Tradition als anderes Korrelat in Wechselbeziehung steht. Dieses als „Konvergenzprinzip“ und später „Korrelationsprinzip“ genannte Verfahren wird maßgebend für die religionspädagogische Diskussion um eine professionelle, zeitgemäße Vermittlung des Glaubens (vgl. Heil 2015). Die beiden Begriffe Mensch und Welt werden darüber hinaus im Rahmen der Diskussion um die Einführung von Bildungsstandards für den Katholischen Religionsunterricht verwendet, zuerst für die Sekundarstufe I, danach für die Primarstufe (vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 4 2010.2006; Sajak 2007). In der sog. „Klieme-Expertise“ noch als Problemanzeige zur gesellschaftlichen Begründung von Bildungszielen und deren Erweiterung durch messbare Kompetenzmodelle bestimmt (vgl. BMBF 2003, 58), wird die Kombination von Mensch und Welt in diesen beiden Dokumenten für den Religionsunterricht kompetenztheoretisch und inhaltlich konkretisiert. Schon damals wurde Mensch und Welt als ein „Gegenstandsbereich“ bezeichnet, ein Begriff, der auch heute noch im LehrplanPLUS vorkommt.

Stellung im Kompetenzstrukturmodell

Dass am Anfang die anthropologische Reflexion auf den Menschen in der Welt steht, zeigt die Bedeutung einer anthropologisch gewendeten Theologie und des Korrelationsprinzips im LehrplanPLUS. Das Fach Katholische Religionslehre setzt damit beim Nachdenken über die menschliche Verfasstheit in der Welt an; grundlegende existentiale, ethische, soziale und ökologische Themen werden hier als Ausgangspunkt behandelt, um mit der christlichen Tradition in Kommunikation zu kommen. Dies betrifft sowohl die Konstitutionslogik des Gegenstandsbereichs selbst als auch der anderen Gegenstandsbereiche, weshalb der Ansatz beim Menschen in der Welt und die darauf folgende Kommunikation mit der christlichen Tradition strukturbildend auch für die dezidiert theologischen Gegenstandsbereiche ist.

Diese Perspektivität gibt dem Gegenstandsbereich eine eigene Rationalität und Dignität, da der Gegenstandsbereich zu den schulart- und fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungszielen des LehrplanPLUS wie „Bildung für nachhaltige Entwicklung (Umweltbildung, Globales Lernen)“, „Soziales Lernen“ und „Werteerziehung“ auf seine eigene Weise beiträgt. Dies zu betonen ist umso wichtiger, da sich in den Fachprofilen vergleichbarer Fächer aus dem LehrplanPLUS ähnliche Gegenstandsbereiche finden wie z. B. „Identität und Gemeinschaft“ (Evangelische Religionslehre), „Miteinander leben“ (Islamischer Unterricht) oder „Menschsein“, „Zusammenleben“ (Ethik). Die Vergleichbarkeit der Gegenstandsbereiche, aber die Unterschiedlichkeit und Standortgebundenheit der Perspektivität macht diesen Gegenstandsbereich aus. Gerade bei der „Werteerziehung“ kommt dem Gegenstandsbereich daher eine besondere Bedeutung zu, da es um wertegeleitetes Handeln in der heutigen Welt im Wettstreit mit anderen Sprachspielen und Deutungssystemen geht. Diese Mehrperspektivität auf Phänomene ist in aktuellen Diskussionen zum angemessenen Umgang mit dem „Commonsense“ in der heutigen Gesellschaft notwendig (vgl. Habermas 2020, 21). Der Religionsunterricht leistet dazu seinen spezifischen Beitrag.

2. Bedeutung von „Mensch und Welt“ im Fachprofil der einzelnen Schulformen

Nach der Analyse des Begriffspaars „Mensch und Welt“ im Kompetenzstrukturmodell des Katholischen Religionsunterrichts wird der Gegenstandsbereich in den Fachprofilen unterschiedlicher Schulformen untersucht. Die Bestandsaufnahme im LehrplanPLUSerbringt das Ergebnis, dass die semantischen Definitionen des Gegenstandsbereichs in unterschiedlichen Schulformen teilweise übereinstimmen, teilweise jedoch auch voneinander abweichen und eigene Dimensionen einfügen. Die Abbildung 2 enthält die einzelnen Definitionen, wie sie im LehrplanPLUS vorkommen.

Abb.2: Mensch und Welt in den Begriffsdefinitionen einzelner Schulformen.
Quelle – 08.03.2022

Systematik

Es zeigt sich, dass unterschiedliche Begriffe und die dahinter stehenden Semantiken von „Mensch und Welt“ in den Definitionen enthalten sind. Die Systematik in Abbildung 3 verdeutlicht, welche Begriffe in welcher Schulform vorkommen.

Abb.3: Begriffe von „Mensch und Welt“ und Schulform.

Beschriftung:
BOS Berufsoberschule     FOS Fachoberschule     FÖ Förderschule     GS Grundschule
GYM Gymnasium             MS Mittelschule             RS Realschule          WS Wirtschaftsschule

Deutung

Die empirisch generierte Systematik verdeutlicht: Die Formulierungen stimmen zum Teil wörtlich überein, teilweise sind sie abgeändert oder durch schulartspezifische Ergänzungen wie z. B. die Vorbereitung auf einen Beruf erweitert. Diese Auflistung zeigt die semantische Ausgestaltung des Gegenstandsbereichs in den jeweiligen Schulformen. Daraus ergibt sich folgender Befund:

In allen Schulformen wird auf die Perspektivität des Fachs besonderer Wert gelegt: Die Präzisierungen „auf der Grundlage der Glaubensüberlieferung“ bzw. „auf der Grundlage der christlichen Deutung von Mensch und Welt als Schöpfung Gottes“ kommen in allen Schulformen vor. Die Perspektivität auf den Gegenstandsbereich erfolgt demnach in der Tradition der Glaubensüberlieferung. Dies wird in jeder Schulform betont. Dass dabei die Perspektive der jeweiligen Glaubensgemeinschaft im Rahmen des staatlich verantworteten Religionsunterrichts im Kontext Schule eingebracht werden kann, ist begründet in GG Art 7.3, wodurch der Religionsunterricht als „res mixta“ in der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaft verstanden wird. Im konfessionellen Religionsunterricht kommt daher speziell die katholisch-christliche Perspektive auf diese Lebensfragen zur Geltung; dies heißt natürlich nicht, dass im Religionsunterricht nicht auch andere Perspektiven möglich sind. Jedoch wird daran deutlich, dass Wertegebundenheit kontextuell gebunden ist. Diese strukturelle Dialektik von Standortgebundenheit und Offenheit ist dem Religionsunterricht eigen und sichert ihm auch in der heutigen pluralen Gesellschaft seinen eigenen Platz.

Die inhaltliche Schwerpunktsetzung bezieht sich auf die Entwicklung des Individuums sowie dessen Umgang mit der Welt. Hier kommt besonders der Umgang mit der Welt im Sinne der sozialen Mit-Welt (Gerechtigkeit, Frieden) sowie der Um-Welt (Schöpfung, nachhaltige Entwicklung) eine besondere Rolle zu. Für die Entwicklung des Einzelnen ist hauptsächlich die ethische Urteilsbildung relevant, identitätstheoretische Fragen werden hier nur in zwei Schulformen genannt, obwohl sie im Bereich der Fachlehrpläne durchaus vorhanden sind (z. B. GS 3/4 LB „Jeder Mensch – einmalig und gemeinschaftsbezogen“ oder GYM 7 LB „Auf dem Weg zu mir selbst – Herausforderungen im Jugendalter“). Hier werden ausdrücklich identitätstheoretische Fragen angesprochen, die in der Definition des Gegenstandsbereichs so nicht vorkommen. Im Einzelnen kommt der Dimension „bewusstes Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ sowie damit zusammenhängend „bewusstes Engagement für Gerechtigkeit, Frieden sowie nachhaltige Entwicklung“ mit acht Schulformen die größte Bedeutung zu. Danach folgen „Maßstäbe ethischen Urteilens“, „Vorbereitung auf einen Beruf“ sowie „schulische Werteerziehung“ mit jeweils sechs Schulformen, anschließend „Fragen nach dem Sinn und der Bedeutung der Welt“ und „Identitätsentwicklung und Wertebildung“ mit jeweils zwei Schulformen, wobei der Begriff der „Wertebildung“ äquivalent zur „Werteerziehung“ ist und daher ebenfalls in allen acht Schulformen vorkommt, jedoch bei sechs Schulformen in Verknüpfung mit „schulisch“, bei zwei mit „Identität“, was nicht dasselbe ist.

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass Mensch und Welt allgemeingesellschaftliche Fragestellungen aufnimmt und in christlicher Perspektivität deutet.

3. Kompetenztheoretische Umsetzung im LehrplanPLUS

Der Gegenstandsbereich in der Struktur des LehrplanPLUS

Die bisher entwickelten Überlegungen können helfen, die konkrete Planung einer Unterrichtseinheit im Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ kompetenztheoretisch zu begründen. Dem Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ kommt eine Scharnierfunktion im Lehrplan vom allgemeinen Bildungsauftrag der Schulform bis hin zum Fachlehrplan zu. Die Gegenstandsbereiche (und prozessbezogenen Kompetenzen) des Kompetenzstrukturmodells befinden sich in der Struktur des LehrplanPLUS genau in der Mitte. Die folgende Grafik kann dies verdeutlichen:

Abb. 4: „Mensch und Welt“ in der Struktur des LehrplanPLUS

Die Ebenen werden von 1–5 immer konkreter. Der Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ – und mit ihm natürlich das Kompetenzstrukturmodell im Fachprofil – dient als Scharnier, um die ersten beiden abstrakten Ebenen mit den konkreten Ebenen im Unterricht zu verbinden. Die Struktur des LehrplanPLUS ist dabei so konzipiert, dass sich die konkrete Einzelstunde immer in den größeren Kontext der anderen Lehrplanebenen einordnen lässt. Dadurch wird es möglich, den Schwerpunkt der einzelnen Unterrichtsstunde zu benennen. Die oben entwickelte Systematik dient dazu, diesen Schwerpunkt für die jeweilige Einzelstunde zu identifizieren, um dadurch auch die Auswahl der späteren Kompetenzerwartungen und Inhalte religionsdidaktisch zu begründen. Am Beispiel Gymnasium soll deutlich werden, wie der Gegenstandsbereich die Scharnierfunktion ausfüllt und welche religionsdidaktischen Begründungsmuster bei der Planung von Religionsunterricht dabei zu beachten sind.

Bildungs- und Erziehungsauftrag

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der jeweiligen Schulform beschreibt deren Profil, d. h. wofür die jeweilige Schulform spezifisch steht. So beginnt der Lehrplan „Gymnasium“ z. B. mit einem Zitat, bei dem die Bedeutung des Gegenstandsbereichs deutlich wird: „Der Mensch sucht soviel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden. (Wilhelm von Humboldt)“ (Quelle – 12.04.2022). Gleich zu Beginn desLehrplans tauchen damit die beiden Begriffe des Gegenstandsbereichs Mensch und Welt auf; dies unterstreicht, welche Bedeutung dem Gegenstandsbereich als Grundlage und Ausgangspunkt zukommt, nicht nur für den Religionsunterricht. Aber gerade hier wird der Religionsunterricht anschlussfähig für den grundlegenden Ansatz gymnasialer Bildung, der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Welt.

Übergreifende Bildungs- und Erziehungsziele

Dies konkretisiert sich in den Bildungs- und Erziehungszielen als gemeinsame schulart- und fächerübergreifende Ziele. Hier kommt vor allem der „Werteerziehung“ eine besondere Rolle zu, da hier die spezifische christliche Sicht auf den Menschen besonders betont wird: „Das christliche Menschenbild und die daraus abzuleitenden Bildungs- und Erziehungsziele sind Grundlage und Leitperspektive für die Achtung vor dem Leben und vor der Würde des Menschen“ Quelle – 12.04.2022). Die Perspektivität der Werteerziehung vom christlichen Menschenbild aus gibt dem Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ eine besondere Stellung, da damit die anthropologischen Grundlagen des Menschenbildes thematisiert werden. Weiterhin kommt ein explizit religiöser Bezug bei der „Interkulturellen Bildung“: „Im Vergleich eigener Einstellungen und Haltungen mit denen anderer entwickeln sie Interesse und Offenheit, gegenseitigen Respekt sowie Toleranz gegenüber anderen Menschen mit ihren kulturspezifischen Vorstellungen und Verhaltensweisen, z. B. hinsichtlich Lebensführung, Sprache und Religion“ (Quelle – 12.04.2022). Hier wird nicht explizit die christliche Religion genannt; es wird aber deutlich, dass eine auf Toleranz beruhende Werteerziehung angezielt wird, d. h. wenn das Eigene das Christliche ist, betrifft dies den toleranten Umgang mit anderen Religionen im Sinne eines „kultursensiblen“ Verhaltens dem Eigenen und dem Anderen gegenüber. Neben dem expliziten Bezug spielt der Gegenstandsbereich natürlich auch in andere Bildungs- und Erziehungsziele hinein, die nicht dezidiert die religiöse oder christliche Perspektive betonen.

Grundlegende Kompetenzen Grundlegende Kompetenzen sind – wie der Name schon sagt – möglichst allgemein formulierte Kompetenzen. Meist handelt es sich um fünf bis sechs Formulierungen, die am Ende eines Schuljahres von den Schülerinnen und Schülern erreicht werden sollen. Die Operatoren dazu sind dementsprechend möglichst umfassend formuliert und bilden somit das Jahrgangsstufenprofil in einem Fach ab.

Die Gegenstandsbereiche im Fachprofil werden im LehrplanPLUS auf der Ebene der „Grundlegenden Kompetenzen (Jahrgangsstufenprofile)“ und der Fachlehrpläne mit Lernbereichen, Kompetenzerwartungen und Inhalten umgesetzt. Es ist dabei aber nicht so, dass ein Gegenstandsbereich einer Grundlegenden Kompetenz der Jahrgangsstufe entspricht. Zwar gibt es natürlich Schwerpunkte der Zuordnung der Gegenstandsbereiche zu den Kompetenzformulierungen, was sich an der bisher herausgearbeiteten Systematik der Begriffe aus diesem Gegenstandsbereich unschwer auffinden lässt; der Gegenstandsbereich kann jedoch auch in unterschiedlichen Formulierungen der Grundlegenden Kompetenzen auftauchen, die schwerpunktmäßig einem anderen Gegenstandsbereich zuzuordnen sind. Ein Beispiel aus der zehnten Jahrgangsstufe des Gymnasiums kann dies verdeutlichen. Hier lauten die Grundlegenden Kompetenzen:

Abb. 5: Grundlegende Kompetenzen Jahrgangsstufe 10 GYM
(Quelle – 21.03.2022)

Auf den ersten Blick wird deutlich, dass die Grundlegende Kompetenz 1 dem Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ am ehesten entspricht. Aber auch v. a. in den Grundlegenden Kompetenzen 2 und 4 kommt der Gegenstandsbereich vor. Dies ist auch nicht verwunderlich, da der Ansatz bei einer anthropologischen Theologie immer auch den Menschen in seiner Welt einbeziehen muss. Der Bezug auf den Gegenstandsbereich macht dies aber nochmals besonders deutlich.

Fachlehrplan

Der Fachlehrplan besteht aus den drei Elementen Lernbereich, Kompetenzerwartungen sowie Inhalte. Der Lernbereich gibt quasi das Thema an, die Kompetenzerwartungen konkretisieren die Grundlegenden Kompetenzen, und die Inhalte geben die obligatorischen oder fakultativen fachlichen Bezüge an.

Wie auch bei den Grundlegenden Kompetenzen kann die entwickelte Begriffssystematik dazu beitragen, den Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ im Fachlehrplan zu identifizieren und dadurch gezielt den Schwerpunkt der Unterrichtseinheit festzustellen. Das folgende Beispiel kann dies illustrieren:

Abb. 6: Beispiel Fachlehrplan Jahrgangsstufe 10 GYM

Die drei Elemente des Fachlehrplans lassen sich dezidiert den herausgearbeiteten Dimensionen des Gegenstandsbereichs „Mensch und Welt“ zuordnen. So eindeutig wie in diesem Beispiel ist die Zuordnung natürlich nicht immer; die entwickelten Begriffe können aber dazu beitragen, diese Zuordnung genau zu begründen.

Planung einer Unterrichtseinheit

Die kompetenztheoretische Umsetzung des Gegenstandsbereichs zur Planung einer konkreten Unterrichtseinheit hat gezeigt, dass mit dem Gegenstandsbereich allgemeine Anforderungen im LehrplanPLUS mit besonderen Planungsschritten einer Unterrichtseinheit verbunden werden können. Dies betrifft besonders die Dimensionen der elementaren Strukturen und elementaren Wahrheiten bei der Erstellung einer Elementarisierung. Besonders die Systematik kann dazu beitragen, den Schwerpunkt der Unterrichtseinheit herauszuarbeiten und damit dessen wissenschaftlich-theologische und humanwissenschaftliche Begründung (elementare Strukturen) und den christlichen Bildungskern (elementare Wahrheiten) auszuführen. Hat man den Schwerpunkt der Unterrichtseinheit erst einmal identifiziert, dann lassen sich auch die weiteren Planungsschritte davon ableiten. Dies betrifft neben der Erstellung der Elementarisierung die Formulierung des Stundenziels und der Teilziele (Phasenziele), die Rhythmisierung des Unterrichts mittels eines Unterrichtsverlaufsplans (Teilziele/Zeit/Phasen/Inhalte/Sozialformen/Medien), die Verwendung kompetenzorientierter „Tools“ wie Lernaufgabe, Lernstandserhebung, Challenge, Feedback u.a. Alle diese Planungsinstrumente müssen zu der Schwerpunktbildung kongruent sein und letztlich auch die kompetenzorientierte Struktur des LehrplanPLUS abbilden (vgl. dazu Heil 2021). Hilfreich dabei ist, dass häufig Medien zum Religionsunterricht nach dem oben skizzierten Schema aufgebaut sind, d. h. bei den Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler ansetzen und von da ausgehend über Erfahrungen und Zeichen mit der christlichen Tradition in Kommunikation kommen (vgl. z. B. „fragen – suchen – entdecken. Religion in der Grundschule“; „Mensch + Oberstufe Religion“). Dadurch wird der anthropologische Ansatz praktisch umgesetzt.

4. Fazit

Zusammenfassend kann Folgendes für den Gegenstandsbereich „Mensch und Welt“ festgehalten werden:

Auf der syntaktischen Ebene werden die beiden Begriffe Mensch und Welt als relationales Kombinationspaar präsentiert. Am Beginn steht der Mensch und dessen Zugang zur Welt, woran sich die Reflexion über den Umgang mit der Welt anschließt.

Auf der semantischen Ebene werden Mensch und Welt sowohl aus der philosophischen als auch der theologischen Tradition heraus bestimmt, philosophisch eher in erkenntnistheoretischer, ontologischer und sprach-analytischer Perspektive, theologisch eher transzendentaltheologisch als Möglichkeitsbedingung menschlicher Existenz sowie als korrelatives Prinzip. Dies konkretisiert sich in schöpfungstheologischen, ethischen und identitätstheoretischen Inhalten, die aus der christlichen Perspektive heraus betrachtet werden.

Auf der pragmatischen Ebene werden mit dem Begriffspaar „Mensch und Welt“ primär zwei Handlungen vollzogen: Zum einen wird der Ansatz des Faches Katholische Religionslehre bei einer anthropologischen Theologie und des Korrelationsprinzips etabliert. Somit ist der Gegenstandsbereich in sich strukturiert, aber auch strukturbildend für die anderen Gegenstandsbereiche, die ebenfalls nach diesem korrelativen Prinzip fungieren. Zum anderen wird der spezifische Beitrag des Faches zur religiösen Bildung und zu schulart- und fächerübergreifenden Bildungsund Erziehungszielen grundgelegt und damit dessen gesellschaftliche Relevanz gezeigt. Die für das Begriffspaar „Mensch und Welt“ relevanten Themen wie Menschenwürde, Schöpfung und Sinn werden aus der christlichen Perspektive heraus gedeutet.

Mittels dieser Analyse wird es religionspädagogisch möglich, den Gegenstandsbereich in konkrete Sequenz- und Stundenverlaufspläne zu konkretisieren und kompetenztheoretisch in der Struktur des LehrplanPLUS zu begründen.

Literatur

· Baumert, J. 2002, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Killius, N. / Kluge, J. / Reisch, L. (Hg.), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt a. M., 100–150.

· Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2003, Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, Bonn.

· fragen – suchen – entdecken. Religion in der Grundschule 4, hg. von Dr. Barbara Ort und Ludwig Rendle unter Mitarbeit von Rainer Oberthür, illustriert von Silke Reimers, erarbeitet von Ludwig Sauter und Josef Schwaller, Berlin/Stuttgart.

· Gabriel, M. 2020, Der Sinn des Denkens, Berlin.

· Habermas, J.10 2020, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt a.M.

· Heil, S. 2015, Art. Korrelation, in: Wissenschaftlich-Religionspädagogisches Lexikon (Quelle).

· Heil, S. 2021, „Die Frage nach Gott“ – zur Struktur eines besonderen Gegenstandsbereichs. Eine empirisch-religionspädagogische Analyse, in: RelPädplus 1, 12–22.

· Mensch plus. Oberstufe Religion, hg. von Veit-Jakobus Dieterich und Hartmut Rupp, Stuttgart.

· Nazareno, J. L. 2020, Der Mensch in der Welt von heute. Ein Gespräch zwischen dem Personverst ä ndnis Romano Guardinis und dem Menschenbild der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ (Quelle – 14.03.2020).

· Riegger, M. 2019, Handlungsorientierte Religionsdidaktik. Teil 1: Haltungen, Wirkungen, Kommunikation, Stuttgart

· Rössner, B. 2009, F ür die Freiheit des Perspektivenwechsels. Modi der Weltbegegnung, Konzepte religiöser Bildung und bekenntnisgebundener Religionsunterricht, (Quelle – 14.03.2022).

· Sajak, C.P. (Hg.) 2007, Bildungsstandards für den Religionsunterricht – und nun? Perspektiven für ein neues Instrument im Religionsunterricht, Berlin.

· Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 2006, Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/Primarstufe, Bonn.

· Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz 4 2010, Kirchliche Richtlinien zu Bildungsstandards f ür den katholischen Religionsunterricht in den Jahrgangsstufen 5–10/Sekundarstufe I (Mittlerer Schulabschluss), Bonn (erste Auflage 2004).

· Toggler, J. 2015, Der Mensch und seine Welt. Die philosophische Anthropologie in der Systematischen Theologie Paul Tillichs, Frankfurt a.M.

· Welsch, W. 2012, Mensch und Welt. Philosophie in evolutionärer Perspektive, München.

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