Stundenentwürfe,  Theorie und Praxis

Gemeinsam Unterricht entwickeln: Der Prophet Amos

Kreativwerkstatt zum Thema „Amos“ – Von Andreas Becker, Marianne Oßwald, Nicola Ries, Franziska Weiß. Vorgestellt von Anja Legge.

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Sich austauschen, Unterrichtsideen entwickeln, einander unterstützen – das sind die Kernanliegen der Kreativwerkstatt. Seit Januar 2022 bietet das Schulreferat das neue Fortbildungsformat an. „Die Idee dahinter ist, dass ReligionslehrerInnen gemeinsam in kleinen Gruppen bei intensivem Austausch und Arbeitsteilung professionelle Unterrichtsmaterialien zu relevanten Themen in der jeweiligen Schulstufe erstellen und dabei Synergieeffekte nutzen“, betonen Barbara Mack und Thomas Riebel, die das Konzept angestoßen und ausgearbeitet haben. Jede Kreativwerkstatt besteht aus drei bis vier Online-Treffen, die von erfahrenen Lehrkräften und MitarbeiterInnen des Referates „Religionspädagogische Professionalisierung“ begleitet werden. Nach professioneller Durchsicht und Überarbeitung im Hinblick auf Urheberrecht und Layout werden die Materialien unter dem Namen der AutorInnen auf der Homepage www.relpaed.plus veröffentlicht und anderen Lehrkräften zur Verfügung gestellt.
Die erste Kreativwerkstatt im Januar 2022 stand unter dem Thema: „Der Prophet Amos und sein Eintreten für eine gerechte und friedvolle Welt“ und richtete sich an Religionslehrkräfte an Grundschulen. Mentorin Nicola Ries, selbst Grundschul- und Religionslehrerin im Raum Aschaffenburg und Leiterin religionspädagogischer Fortbildungen im Schulamtsbezirk Aschaffenburg, war von Beginn an überzeugt von der Idee. Der Vorteil des Konzepts liegt für sie „in den verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen, die jeder einzelne mitbringt“, im „produktiven Austausch“ und in der „gegenseitigen Bereicherung“. Andreas Becker, Religionslehrer im Kirchendienst in Bergtheim, Unterpleichfeld und Ochsenfurt, sieht das ganz ähnlich. Dass er sich angemeldet hat, war zunächst Corona geschuldet: „Ich habe den Kontakt zu Kollegen gesucht und wollte mich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen“, begründet er. Seine Erwartungen wurden nicht enttäuscht, die Zusammenarbeit hat er als „inspirierend“ empfunden, denn: „Jeder bringt einen anderen Hintergrund, andere Begabungen mit.“ Neben dem Spaß an der Zusammenarbeit nennt er auch „Vernetzung“ und „Arbeitserleichterung durch das Teilen von Material“ als Pluspunkte des Formats.

© privat – Mit Egli-Figuren und einem Bodenbild werden die SchülerInnen in Amos‘ Zeit und Welt versetzt.

Im ersten Treffen gab Nicola Ries eine historisch-kritische Einordnung des Buches Amos, um dann gemeinsam mit den drei Teilnehmern erste Schwerpunkte, mögliche methodisch-didaktische Bausteine und konkrete Umsetzungsideen zusammenzutragen. Das Team aus Andreas Becker und Franziska Weiß entschied sich daraufhin für das Philosophieren als Herzstück. Marianne Oßwald hat eine emotionale Rede des Propheten und ein Arbeitsblatt entworfen, Nicola Ries selbst stellt in ihrer Unterrichtstunde den Aspekt der Empathie in den Mittelpunkt.

Philosophieren über Gerechtigkeit

Ziel des Teams Becker-Weiß war es, die „Sozialkritik des Amos auf ein kindgerechtes Niveau herunterzubrechen und die Grundzüge Kindern zugänglich zu machen“. Zentrale Unterrichtsidee ist ein philosophisches Gespräch, das in eine grobe Sequenz aus etwa zwei bis drei Unterrichtsstunden eingebettet ist. Zum Einstieg empfehlen die beiden Lehrkräfte eine Alltagssituation: In einer willkürlichen Auswahl legt die Lehrkraft einzelnen Kindern einen Schokoriegel auf den Platz, sich selbst gibt sie zwei Riegel. Die erwarteten Reaktionen – „Unfair!“, „Ungerecht“ – lassen nicht lange auf sich warten. Im nächsten Schritt begegnen die SchülerInnen im Bilderbuch „Zwei für mich, einer für dich“ von Jörg Mühle einer ähnlichen Problemstellung. Am kritischen Punkt des Buches erfolgt der Übergang in ein philosophisches Gespräch mit Fragen wie: „Ist es gerecht, wenn alle immer gleich viel bekommen? Wie kann man gerecht teilen? Kann man Gerechtigkeit üben? Wann ist Teilen schwer? Was teile ich gern, was teile ich nicht?“ Die Schülerinnen dürfen dabei frei eigene

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Wahrnehmungen,Erfahrungen, Meinungen und Fragen äußern und Unrecht beim Namen nennen. „Weil sich jeder von uns Gedanken über derartige Fragen macht und darüber spricht“, betrachten Andreas Becker und Franziska Weiß das Philosophieren im Unterricht als „Bestärkung und Unterstützung für den Alltag“. Eine wichtige Hilfe für den Unterricht sind die Gesprächsregeln, also: alles darf gesagt werden, es gibt kein richtig oder falsch, nichts wird bewertet. Dass der Ausgang des Gesprächs offenbleibt, macht für Becker den Reiz des philosophischen Gesprächs aus: „Ich bringe Kinder zum Nachdenken ohne sie zu gängeln und in eine bestimmte Richtung zu treiben.“ Die kreative Vertiefung kann durch einen Protestbrief, Comic-Sprechblasen oder ein Streitgespräch erfolgen. Mit dem Ausgang des Bilderbuchs soll bei den SchülerInnen die Erkenntnis reifen, dass es immer nur eine und nicht die einzig richtige Lösung geben kann.
In der darauffolgenden Stunde erfolgt die Überleitung zum Propheten Amos und seiner Sozialkritik, die die Lehrkraft in einer kindgerechten Erzählung vermittelt. Zum Abschluss richten die SchülerInnen den Blick wieder in die Gegenwart, fragen einander „Was können wir tun?“ und entwerfen ein ganz persönliches Bild einer gerechten Welt.

Mit Empathie für eine gerechtere Welt

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Einfühlungsvermögen, Sensibilität, ein waches Auge für Ungerechtigkeiten in der Welt – das ist der Schwerpunkt bei der Herangehensweise von Nicola Ries. „Am Ende der Unterrichtsstunde sollen die Kinder den Propheten Amos und sein Anliegen kennen, um dann mit dessen Brille den Blick auf aktuelle Ungerechtigkeiten richten zu können“, erläutert Nicola Ries.
Wichtig ist deshalb, dass die SchülerInnen emotional in Amos‘ Welt mitgenommen werden: „Sie sollen sich in diesen einfachen Mann, der die soziale Ungerechtigkeit täglich vor Augen hat, einfühlen, mit ihm Verblüffung, Unverständnis, Wut empfinden und dann selbst so empathisch werden wie der Prophet vor 2700 Jahren. Mit Hilfe von Egli-Figuren, Uhr und Bibel werden die SchülerInnen zunächst in die Amos Zeit und Welt versetzt. Lebensund Gedankenwelt des Propheten werden dann in Form einer Lehrererzählung vermittelt, die bewusst in der IchPerspektive steht, um die Identifikation zu erleichtern. Dann dürfen die SchülerInnen die Amos-Figur in die Hand nehmen und dem Propheten ihre Stimme geben. „In diesem Moment ist der Kontakt hergestellt“, berichtet Ries: „Die Kinder identifizieren sich sehr stark mit der Figur, werden rasch emotional und vergessen das Klassenzimmer um sich herum.“ Die dabei aufkommenden Gefühle, Gedanken und Stellungnahmen rund um Gerechtigkeit werden dann kreativ weiterverarbeitet, zum Beispiel durch ein Standbild, ein Bodenbild, einen Tagebucheintrag oder ein freies Gebet. Danach geht es zurück ins Hier und Heute: „Amos hat genau hingesehen, wo im Leben etwas schiefläuft. Ob diese Probleme heute bewältigt sind? Schließe deine Augen und denke für dich darüber nach.“ Das letzte Wort der Stunde hat Amos, der ins Heute spricht und in wenigen Worten umreißt, was er sich „für uns heute wünschen“ würde.

 

Alle Ideen aus der Kreativwerkstatt „Amos“ können Sie hier herunterladen:

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