Kraftquelle

Kraftquelle: Keine Angst vor Gespenstern!

Der Gegenstandsbereich Mensch und Welt. Von Johannes Pfeiff.

Wirft man einen Blick in die Lehrpläne, fällt sofort auf, dass sich die Beschreibung des Gegenstandsbereichs Mensch und Welt von anderen Gegenstandsbereichen dadurch unterscheidet, dass sie inhaltlich einen recht weiten Bogen schlägt: der Religionsunterricht „fördert auf der Grundlage der Glaubensüberlieferung die Fragen nach dem Sinn und der Bedeutung der Welt, erschließt darin Maßstäbe ethischen Urteilens, motiviert zum bewussten Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und leistet einen wichtigen Beitrag zur Identitätsentwicklung und Wertebildung sowie bei der Vorbereitung auf einen Beruf.“ (so der Textlaut für die Fachoberschule, alle anderen Lehrpläne bzw. Schulformen formulieren annähernd identisch).

Man kann sich des Eindrucks nur schwer erwehren, als wäre hier grob über den Daumen gepeilt irgendwie alles in den Blick genommen, was die Bedeutung Religionsunterricht in einem säkularen Staat ausmacht und ihn entsprechend auch rechtfertigt. ErnstWolfgang Böckenförde hat diesen

Gedanken in seinem berühmten Diktum (oder Paradoxon) zusammengefasst, nach dem der freiheitliche Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Die übrigen Gegenstandsbereiche scheinen dieser lebenspraktischen Relevanz des Religionsunterrichts kaum das Wasser reichen zu können. Im Gegenteil: Der Gegenstandsbereich Mensch und Welt definiert die kulturprotestantischen Kernkompetenzen des Religionsunterrichts.

Gleichwohl immunisiert sich der Gegenstandsbereich gegen eine solche „staatstragende” Aushöhlung seines theologischen Gehalts durch die – wiederum typisch katholische – Bezugnahme auf die Glaubensüberlieferung, die allen gesellschaftspolitischen Benefits des Religionsunterrichts gleich einem Vorzeichen vor der Klammer vorgeschaltet ist. Der Bezug auf die Glaubensüberlieferung ist seit jeher Richtschnur: so lag beispielsweise das Evangelium bei den ersten wie auch dem letzten großen Konzil aufgeschlagen in der Mitte der Konzilsväter. In der Orientierung zum Anfang hin realisiert die Gegenwart der Kirche ihr Potential. Zuweilen wirkt diese Rückbesinnung störend. Kann sogar weh tun, wenn sie vieles in Frage stellt, was uns lieb und selbstverständlich geworden ist.

Ihr Ziel ist indes keine fundamentalistische Reformation zu einem ahistorischen urkirchlichen Ideal oder zu einer museal anmutenden Kultpraxis. Vor einer solchen Deformation bewahrt uns die Menschwerdung Gottes. Dass Gott sich den Gesetzlichkeiten unserer wesenhaft wandelbaren Welt unterworfen hat, verweist uns hier zweierlei: erstens können wir nur vorwärts. Dies ist die Richtung der Zeit, in die Gott selbst eingegangen ist. Und zweitens dürfen wir hoffen, dass Wandel nicht gleich Verlust ist. Vielmehr gehört die prozesshafte Geschichtlichkeit immer schon zum Wesen der Kirche wie der individuellen Biographie. Wo sie nicht ist, bleibt alles stehen und verliert seine Relevanz.

Darin liegt nun vielleicht das spirituelle Potential des Rückbezugs auf unsere Glaubensüberlieferung: Die Erkenntnis der Geschichtlichkeit der Welt relativiert unsere Gegenwart. Dies muss aber keine Angst vor einem Gespenst des Relativismus machen. Im Gegenteil: für meinen Doktorvater Franz Dünzl bedeutete Relativieren nicht, alles einzuebnen. Vielmehr begriff er es als ein In-Beziehung-setzen, ein Vernetzen von Geschichte und Gegenwart, aus der sich Perspektiven für eben diese Gegenwart entfalten und das unseren Fragen eine Richtung gibt.

Der Gegenstandsbereich Mensch und Welt kann uns deshalb Mut machen, die eigene Geschichtlichkeit und die der Kirche als wertvoll wahrzunehmen. Schließlich realisiert sich Kirche immer in der Welt, in die sie hinein spricht und die sie mitgestaltet. Folgerichtig öffnet sich die Perspektive des Gegenstandsbereichs Mensch und Welt nach diesem Vorzeichen vor der Klammer auf die konkreten Umsetzungen dieses grundlegenden Rückbezugs: biblisch begründete Ethik, Engagement für Gerechtigkeit und Frieden, Bewahrung der Schöpfung und damit ein Beitrag zur Identitätsentwicklung und eine Vorbereitung auf Leben nach der Schule.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert