Information und Fortbildung

Zwischen Welt und Mensch

Andersorte im Leben und für den Glauben. Von Hans-Joachim Sander.

Auf „Mensch und Welt“ hin kann man sich fragen, wie denn ein Mensch zur Welt und die Welt zu den Menschen kommt. Dann tun sich gleich drei Vorgänge auf. Zunächst einmal wird das Verhältnis von Welt und Mensch problematisiert, weil es nicht selbstverständlich ist, dass Menschen zur Welt kommen. Das gilt schon für ihre Geburt, die auch in einer von hochtechnischer Medizin geprägten Zivilisation ein schwieriger Vorgang ist. Es gilt auch im Leben danach, weil diese Welt überhandnehmen kann und wir Menschen sie nicht bewältigen. Schon im Alltag kann das schwierig werden, für katastrophale Ereignisse wie Krieg, Naturkatastrophen, Hungersnöte gilt das umso mehr. Selbst dann, wenn es gerade nicht weiter das Problem darstellt, wie Welt und Mensch sich verbinden, kann man sich fragen, was oder wer denn nun den Anfang setzt, die Welt oder die Menschen. Das kann die Welt sein, die sich einschreibt, oder es können auch die Menschen sein, die aktiv in der Welt werden und sie verändern. Im Alltag geschieht das erste, unter den Bedingungen von bewussten Entscheidungen geschieht das zweite.

Schließlich öffnen sich drittens in der Wechselwirkung von Mensch und Welt die großen Fragen des Lebens: Woher kommen wir überhaupt, wenn wir in die Welt eintreten, und wohin gehen wir, wenn wir die Welt verlassen? Kommen wir überhaupt von woher und gehen wirklich noch wohin? Warum leiden wir in dieser Welt? Finden wir Hoffnung und Glück, Lebenspartnerzinnen auf Augenhöhe oder wenigstens für wichtige Lebensabschnitte? Wollen wir Kinder, können wir sie überhaupt bekommen, erziehen, so sein lassen, wie sie dann geworden sind? Ist da irgendwo noch mehr als alles? Was wird uns alles noch in dieser Welt überraschen? Oder geht es künftig absehbar kontinuierlich mit uns bergab?

In allen drei Vorgängen schiebt sich jeweils eine Form von Zwischen in das Verhältnis von Mensch und Welt. Es ist wohl so, dass jede Wechselwirkung von Welt und Mensch mit einem Zwischen bestimmt und gestaltet werden kann. Ein einfaches entweder Mensch oder Welt ist nicht möglich. Das Dazwischen ist dabei keine Begrenzung, sondern eine Erweiterung für beide. Allerdings ist diese Erweiterung nicht zu erreichen, wenn man das Verhältnis nur komplizierter macht und um das Zwischen erweitert. Mit ihm kommt vielmehr etwas hinzu, was es anders macht.

Im Zwischen von Welt und Mensch — was Körper anders machen

Das jeweilige Zwischen führt zunächst einmal in die Auseinandersetzung mit einem nicht gerade geringen Problem. Dort siedelt sich stets irgendeine Form von Macht an, die sich sowohl in der Welt als auch beim Menschen auswirkt. Die Auswirkungen sind unausweichlich; sie verkomplizieren das Gegenüber von Welt und Mensch nicht, aber sie erhöhen die Komplexität. Einen entscheidenden Faktor, um dieser Komplexität auf die Spur zu kommen, stellt der Körper dar. Es gibt keinen Menschen, der nicht mit dem eigenen Körper im Zwischenraum zur Welt verortet ist. Das versieht diese lokale und begrenzte Problematik zugleich mit einer elementaren Universalität.

Auf eindrucksvolle Weise hat diesen Zusammenhang Ta-Nehi-si Coates mit dem Essay „Between the World and me“ (New York: One World, 2015, dt. Ubers. „Zwischen mir und der Welt“. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow, München: Hanser Berlin, 2016) beschrieben. Es ist ein Brief an seinen Sohn Samori, der vom Jugendlichen langsam zum Erwachsenen wird. Als Afroamerikaner in den USA ist er um einiges verwundbarer als ein Weißer gegen äußere Gewalt, die tödlich enden kann.
Zwischen der Welt und ihm steht ein Körper, der aufgrund der Markierung ,schwarz‘ alle möglichen gefährlichen Verdächtigungen auf sich zieht. Das Ausnutzen dieser Verwundbarkeit kann von den Gangs im Viertel kommen, von der Polizei, von dem rabiaten Umgang eines jungen wütenden Mannes, wie Coates es selbst war, mit seiner engsten Umgebung. Coates wusste, wovon er schrieb, war er doch im West-Baltimore aufgewachsen, in dem das Alltag war, was „Black Lives Matter“ später weltweit anprangern musste. Seine ersten Sporen als Journalist verdiente er sich mit der minutiösen Rekonstruktion, wie und warum ein weißer Polizist einen seiner afroamerikanischen Kommilitonen im College erschossen hat, der aus der Oberschicht stammte und entsprechend nicht mit einem Angriff rechnete. Nach langer versteckter Verfolgung hatte der Polizist ihn im Auto gestellt und erschossen, weil er angeblich nach einer Waffe griff, die er aber gar nicht hatte. Der Täter rechtfertigte seine polizeiliche Maßnahme mit Verdacht auf Drogenhandel, womit das Opfer jedoch tatsächlich nichts zu tun hatte.

„Es gibt keinen Menschen, der mit dem eigenen Körper im Zwischenraum zur Welt verortet ist.“

Der Körper eines Menschen ist mehr als eine Realität des jeweiligen persönlichen Lebens; es ist ein Ort, an dem Welt und Mensch in einem verwundbaren Zwischen aufeinandertreffen. Wir Menschen alle haben Körper und können uns diesem Zwischen der Welt und dem jeweiligen Ich nicht entziehen. Dieser Ort kann natürlich übersprungen werden durch Utopien, was einem Menschen in der Zukunft noch alles Wunderbare geschehen kann, oder mit Vertröstungen, was nun alles an Leid und Unzulänglichem endlich hinter ihm läge. Aber die jeweilige Gegenwart des eigenen Körpers ist eine prekäre, unwägbare und verwundbare Lage des eigenen Lebens, das auf diesem körperlichen Ort jederzeit in große Gefahren geraten kann. Zugleich ist der Körper der Sitz unseres Lebens, das ebenfalls ausbrechen kann zu Intensitäten, mit denen wir nie zuvor gerechnet hätten. Beides ist möglich und beides kann sich wechselseitig bestärken. Davon erzählt Coates.

Wir sind zugleich jeweils unser Körper, wie er für uns jeweils sehr speziell zu einem Gegenüber werden kann. Diese doppelte Wirklichkeit macht ihn zu einem Ort, an dem ständig und jederzeit alles anders werden kann in unserem Leben. Am Körper zerbröseln Utopien und Mythen; er ist anders, als wir es uns wünschen würden, und stellt sich irgendwann und irgendwie quer zu jeder Rückversicherung, mit der wir ihn kontrollieren wollen. Dieses Queerstehen muss nicht zwangsläufig Entmächtigung bedeuten. Es kann zur Ermächtigung werden, die allerdings unweigerlich ebenso über eine Relativierung führt.

Am Andersort Körper – Ermutigung durch Selbstrelativierung

Am Körper stellt sich ein anderer Ort ein als Nicht-Orte, Utopien, oder Mythen, die erhaben über jeden Ort auftreten. Er beherbergt nicht einen Ort, der jetzt nicht ist, aber künftig umso mehr wird, je entschiedener man sich seiner Herrschaft unterwirft (utopos). Es vollzieht sich auch kein über jede abklärende Geschichte erhabener Blickwinkel (Mythos). Der Ort, der anders ist und mit dem Körper jetzt und hier verbunden ist, mutet zu, die selbst erzeugten Illusionen und bestätigenden Selbstbehauptungen zu überschreiten. Der Ort unseres jeweils gegenwärtigen Lebens, also der Körper, hat das Potential, alles anders werden zu lassen. Das kann im Guten geschehen durch das, was man sich mit ihm ermöglichen kann, ohne dass man es sich zugetraut hat. Es können aber auch Zumutungen geschehen, mit denen man nie und nimmer gerechnet hätte, aber womit man jetzt zurechtkommen muss. Diese Konfrontationsvorgänge machen aus dem eigenen Körper einen anderen Ort, genauer: einen Heterotopos, also einen Andersort.

„Andersorte stellen sich in der Wirklichkeit ein, wie sie gegenwärtig ist und unvermeidlich da ist.“

Mit „Andersort“ sind Orte bezeichnet, die nicht in der Zukunft liegen und jetzt mit selbst gewählten Disziplinierungen vorauseilend aufgegriffen werden. Andersorte stellen sich in der Wirklichkeit ein, wie sie gegenwärtig ist und unvermeidlich da ist. Sie tun das, weil sie auf eine Weise da sind, dass die selbstverständliche Erwartung von Künftigem nicht mehr selbstverständlich ist. Aber es ist nicht einfach nur der Umstand, dass sie da sind, was sie anders macht. Vielmehr konterkarieren sie die selbstverständlichen Arten und Weisen, wie wir uns durchs Leben hangeln, durch Abklärung oder Ermutigung. Das kann ein Stadion sein, in dem ein Team Triumphe feiern kann oder Niederlage einstecken muss. Es kann ein Ort eines Unfalls sein, an dem jemandem über die Maßen geholfen wurde. Es kann der Ort sein, an dem sich ein Paar zum ersten Mal umarmt hat. Je nach Umständen kann ein normaler Ort zu einem Andersort werden.

Andersorte statten nicht mit einer neuen, von uns kontrollierbaren Ordnung aus, wie es Utopien tun. Sie erklären auch nicht, warum das alles eben so sein muss, wie es sich gerade einstellt, so wie Mythen funktionieren. Andersorte beruhigen nicht und lassen nicht zu, dass wir dem ausweichen, was dort an Macht sich aufdrängt. Sie entmächtigen nicht nur und sie ermächtigen nicht nur. Vielmehr muten sie zu, dass wir dem nicht ausweichen können, wie wir nicht entmächtigt werden wollen und wie wir uns nach Ermächtigung sehnen.

Coates Essay ist dafür ein Beispiel, das über den Anlass eines Briefes an seinen Sohn hinausweist. Hat ein Mensch in einer rassistischen Welt einen Körper, der als schwarz deklariert wird, verschärft sich der Umstand des Andersortes mit seinem Körper. Er wird zur ständigen Konfrontation mit einer herrschenden Gewalt und Ungerechtigkeit, die weder als unveränderbar hingenommen werden kann noch unterschätzt werden darf, gerade weil sie den eigenen Körper antastet. Dieser Körper wird dann zu einem Kreuzungspunkt unverschämter Politiken, kultureller Deformationen und zur Schau gestellter Verlogenheiten mit existentieller Ohnmacht, aber auch zum Ort eines Widerstehens gegen diese Mächte, aber auch die eigene Wut. Das versuchte Coates seinem heranwachsenden Sohn zu erklären, weil er selbst es in diesem Alter auch erfahren hatte und doch wegzuleugnen versuchte. „Zwischen der Welt und mir“, so sein Argument, kann alles auf einen Körper heruntergebrochen werden, der so nackt da stehen kann, dass er jederzeit zu brechen ist von allem Möglichen und noch mehr Unmöglichem von der Welt zum Menschen und von den Menschen zur Welt. „To be black in the Baltimore of my youth was to be naked before the elements of the world, before all the guns, fists, knives, crack, rape, and disease. The nakedness is not an error, nor pathology. The nakedness is the correct and intended result of policy, the predictable upshot of people forced for centuries to live under fear. The law did not protect us. And now, in your time, the law has become an excuse for stopping and frisking you, which is to say, for furtherering the assault on your body.” (Between the World and me, 17)

Das ist mehr als nur eine sehr persönliche Erfahrung. Auch wer nicht in West-Baltimore aufwächst, kann in den USA ein Lied davon singen. Auf der anderen, der rassistischen Seite stehen ebenso Körper in Rede. Sie werden von allen Privilegien und Unschuldserklärungen bestimmt, die ein Rassismus zu ihrem Vorteil aufgebracht werden: “For the men who needed to believe themselves white, the bodies were the key to a social club, and the right to break the bodies was the mark of civilization.” (Between the World and me, 104) Das macht wiederum den weißen Körper zu einem Heterotopos in einer Gesellschaft, die sich als von gleichen und unveräußerlichen Rechten für alle bestimmt sieht. Ihre Realität ist anders und an der Ungerechtigkeit gegenüber dem einen und der Privilegierung des anderen Körpers wird das zum entlarvenden Offenbarungseid. Sein Sohn, so Coates, möge sich über diese Zusammenhänge klar werden, damit er Wirklich leben und gestalten kann, was zwischen der Welt und ihm sich alles noch abspielen wird.

„Andersorte sind weder einfach negativ, noch einfach positiv, sondern nicht selten beides auf eine Weise, die komplexer ist als das, was man erwartet.“

Nicht jeder Mensch ist ein Afroamerikaner in den heutigen USA. Aber das, was der Essay von Coates erfasst und beschreibt, hat auch jenseits davon Aussagekraft. Die Konfrontation mit einem prekären Zwischen gilt für jeden Menschen. Niemandem bleibt sie erspart. Auf dieses Zwischen legen uns Andersorte wie der eigene oder der fremde Körper fest, weil es eine Realität ist, der wir vielleicht lieber ausweichen würden, es aber nicht können, oder eine Wirklichkeit, die wir gerne festhalten würden, weil sie so schön ist, und es doch nicht können. Andersorte sind weder einfach negativ noch einfach positiv, sondern nicht selten beides auf eine Weise, die komplexer ist als das, was man erwartet. Sie muten eine Diskursivierung der eigenen Lage zu, die sich nicht einfach so harmonisch in das eingliedern lässt, was ein Mensch von sich in der Welt hält und zu bestimmen versucht. Andersorte stehen quer, was sowohl für die dort nötige Ermutigung als auch die da vorhandene Abklärung gilt, die sie beide unweigerlich mit sich bringen. Dieses befremdliche Moment steht jedem Menschen von außen gegenüber, auch wenn es sich um den eigenen Körper handeln sollte, an dem gerade eine Biomacht ansetzt.

Der Begriff ,Andersort/Heterotopos‘ geht auf einen Text von Michel Foucault aus den 1960er Jahren zurück, der über den zuvor nur von Spezialisten gewürdigten Umstand nachdachte, dass Geschichte sich zwar in der Zeit abspielt, aber sich überhaupt erst an realen Orten kristallisiert (Von anderen Räumen, in: Schriften in vier Bänden Dits et Ecrits. Bd. IV 1980-1988, Frankfurt: Suhrkamp, 2005, 931—942). Ohne diese Orte können Vorgänge nicht die Signifikanz erhalten, die sie als geschichtlich bedeutsame Vorgänge einnehmen. So besiegte Caesar Vereingetorix in Alesia mit einer revolutionären Belagerungsstrategie und nicht irgendwo sonst. Auch wurde er in der Vorhalle des Senats ermordet und nicht irgendwo sonst. Beide Orte sind für seine historische Bedeutung signifikant. Als die Bastille erobert wird, beginnt in Paris eine Revolution, für die dann aber auch ebenso die Guillotine signifikant wurde. Napoleon rauschte von Sieg zu Sieg überlegener durch Europa und verlor in der Schlacht von Waterloo dann doch endgültig die Macht. Nazi-Deutschland wird auf immer mit Auschwitz verbunden sein, weshalb kein Erinnern in Deutschland an den Gräuel der eigenen nationalen Vergangenheit an diesem Ort vorbeigehen kann. Mit dem Mauerfall 1989 wurde klar, dass eine andere Zeit begonnen hat, deren Utopias dann seit dem 24. Februar dieses Jahres an anderen Andersorten zerbröseln. Die Ukraine ist jetzt der Andersort schlechthin für Europa, der die bestimmende Ordnung für die bisherige Politik des Westens nach dem Kalten Krieg, für die prekäre Energiesicherheit und für die Illusionen eines Wirtschaftsprimats in den nun so herb ernüchterten demokratischen und globalisierten Gesellschaften. Der Andersort Ukraine überschreitet das und entlarvt es zu einem gewissen Grad als Selbsttäuschungen.

Religion und Gott — weder raumlos noch über Andersorte erhaben

Diese Analyselinie über Andersorte gilt für die Welt. Sie gilt auch für den nicht selten zwischen Utopien und Mythen schwankenden Selbstbezug eines Menschen. Aber bietet nicht doch Religion, Glaube, Glaubensgemeinschaft eine Ausnahme von diesen befremdlichen Zusammenhängen? Immerhin haben sie es mit den großen Fragen von einem Jenseits her und auf eine Transzendenz hin zu tun, die sich dem weltlichen Zugriff entziehen. Und vielleicht bietet sich dabei sogar als kritische Gegenwelt eine „Civitas Dei“ auf, wie es Augustinus beschrieb, so dass schließlich im Verlauf der (Heils-)Geschichte eine von Gottes erfüllte Urbanität gegenüber den Zwängen, der Gewalt und Vorläufigkeiten der „Civitas terrena“ sich als die wesentlich bessere Alternative erweist. In der Nachfolge des augustinischen Pessimismus über die geringe Zahl der zum Heil Prädestinierten hatte das abendländische Christentum über Jahrhunderte so gedacht. So wollte der kirchlich bestimmte Glauben den Relativierungen von Mensch, Menschen und ihrer Humanität in der jeweiligen Welt entgehen. Selbst wenn man an diesem augustinischen Geschichts-, Weltund Glaubensbild festhalten will, bleibt das in einem wesentlichen Punkt unterkomplex. Die genannten Erwartungen mögen für Religion gelten und auch für verschworene Glaubensgemeinschaften eines entweltlichten Modus. Riten, Mythen und Symbole gehören ja durchaus zu ihren Grundausstattungen und kulturellen Eigenleistungen. Sie müssen nicht zwangsläufig auf prekäre Zwischen Rücksicht nehmen, solange sie damit Gefolgsleute anziehen. In ihren modernen Formen haben sie sich stark mit Utopias angereichert, die auch unterhalb zeitgenössischer Fundamentalismen von der Beherrschung anderer träumen. Man findet keine Kirche und kirchliche Gemeinschaft, die sich nicht laut oder leise selbst als die bessere Alternative zu den relativen Staaten, Gesellschaften, Kulturen, Wirtschaftsformen ansehen. Man denke im katholischen Bereich nur an den Katholizismus der Pianischen Epoche, dessen societas perfecta als kirchliches Selbstverständnis bis heute nachwirkt und mehr als nur Reformstaus verursacht.

„Eine Kirche und ein Religionsunterricht, die mit Gott im positiven Sinn handeln [… ], tun gut daran, sich nach Andersorten umzusehen.“

Für das Gottesverhältnis gilt das aber nicht. Das ist der wesentliche Punkt, der dieses Bild hinter sich lässt. Der biblische Gott ist bereits narrativ mit einer regelrechten Fülle von Heterotopias verbunden: das Paradies, aus dem Adam und Eva vertrieben werden, der Scheiterhaufen, auf dem Abraham seinen Sohn schlachten will, Exodus und Exil, das Gelobte Land, das dem Mose verschlossen bleibt, das zerstörte Jerusalem, das die Propheten in ihrer harschen Kritik am König und seiner Clique bestätigt, der leidende Hiob, der den Tun-Ergehens-Zusammenhang seiner Freunde als falsch erweist, die Reich-Gottes-Gleichnisse Jesu, sein Kreuz auf Golgotha und selbst das leere Grab. Das gilt umso mehr, wenn man die Theologien der Konfrontation Gottes mit den Menschen in ihrer Welt betrachtet, die vom Exodus über das Exil bis zu den Apokalypsen reichen. Die Orte, die für den Gott der jüdisch-christlichen Tradition als bestimmend angesehen werden, stellen alles andere als Bestätigungen bereit. Die Liste eben lässt sich ins Neue Testament hin verlängern: Bethlehem und die Krippe im Stall, der unter die Räuber fiel und dem der Samariter hilft, der jähe Absturz vom Palmsonntag zur Festnahme im Getsemani, der Hauptmann unter dem Kreuz, das Unverständnis der Jünger gegenüber der Botschaft der Frauen am Ostermorgen u. v. a. m. Solche Orte relativieren jede sich leise oder laut selbst bestätigende Redeweise von Gott und muten dieser zu, die bisherigen Grenzen zu überschreiten. In der Rede von Gott sind Andersorte in die elementare Struktur der theologischen Aussagefähigkeit eingebaut. Sie konterkarierten Utopien, gesellschaftliche wie kirchliche, und ermutigen, sich selbst, die anderen, die in Frage stehenden Sachverhalte anders zu betrachten lernen als mit Selbstbestätigungen. In der Rede von Gott stehen Andersorte für die Fähigkeit, sich selbst zu relativieren, um dem nicht auszuweichen, was unvermeidbar im Raum steht und sich zwischen Welt und Mensch einbringt. Entsprechend ist auch das kirchliche Lehramt von diesen Zusammenhängen geprägt worden. In der Neuzeit und der Moderne hat es sehr lange versucht, die eigenen Aussagen und die Dogmen der kirchlichen Religionsgemeinschaft außerhalb jeder Geschichte zu stellen und ist damit auf ganzer Linie gescheitert. Mit dem pastoralen Lehramt des letzten Konzils dagegen treten Menschen in den Mittelpunkt, die in der Welt leben und dort als Glaubensgrößen angesprochen werden müssen. In den Zeichen der Zeit treten sie mit dem jeweiligen Ringen um ihre Würde auf, und das geschieht an konkreten Orten, die das Leben anders machen. Das geschieht nicht in der Vorstellungswelt der Gläubigen, sondern in den Lebensräumen von Menschen heute. Solche Orte haben in der Regel der Charakter von Andersorten. Eine Kirche und ein Religionsunterricht, die mit Gott im positiven Sinn handeln, also für seine öffentliche und personale Bedeutung einstehen, tun gut daran, sich nach Andersorten umzusehen. Sie sind in aller Regel gar nicht weit von ihnen entfernt. Auch die Schule selbst hat sich in der zeitgenössischen Gesellschaft zu einer Größe entwickelt, in der über Chancengleichheit oder ungleiche Verteilung von Bildung gerungen wird. Mit jeder Migrationswelle, jedem Amoklauf, jeder Pandemie-Regelung sind Schulen in den Fokus des allgemeinen Interesses gekommen, die mit dem Blick auf ihren eigenen Andersort angesprochen werden können. Das, was zunächst wie eine herbe Abklärung und Zumutung erscheint, hat zugleich die Wirkung einer Ermutigung mit dem Potential einer Hoffnung, es anders zu machen als gewohnt.

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