Bildung und Kultur

Kirche im Campus

Interview mit Ulrike Michel-Schurr und Burkard Hose. Das Interview führte Anja Legge.

Gemeinsam leiten Religionspädagogin i. K. Ulrike Michel-Schurr und Hochschulpfarrer Burkhard Hose das Referat „Hochschule“ des Bistums Würzburg. Zu ihren Aufgaben gehört vor allem die Katholische Hochschulgemeinde (KHG), die ein breites Angebot für Begegnung, Engagement und Gemeinschaft bereithält. Im Interview erläutern die beiden, welchen Stellenwert Glaube und Hochschulseelsorge im Leben junger Menschen haben, wo Kirche von der KHG lernen kann und was der Einzug ins Herz der Universität bedeutet.

Welche Rolle spielen Spiritualität und Glaube im Leben der heutigen Studierenden?

Bild: Anja Legge

Ulrike Michel-Schurr: Zunächst einmal: Es gibt weder „die heutigen Studierenden“ noch eine eindeutige Definition für „Spiritualität und Glaube“. Beides sollte man differenziert betrachten.

War das denn früher anders?

UMS: Vor 25 Jahren wäre es hier vermutlich primär um Kirchenzugehörigkeit gegangen. Damals haben vor allem Studierende mit Bindungen aus einem christlichen Elternhaus, zur Heimatgemeinde, Jugend- Verbänden und Ministranten-Arbeit bei der KHG angedockt. In der Zwischenzeit hat es große Veränderungen bei der Bindung an die beiden großen christlichen Kirchen gegeben. Es kommen wesentlich weniger Leute aus gemeindlichen Kontexten, weil es diese jungen Leute dort kaum mehr gibt. Und: Junge Leute suchen mittlerweile auch andere Orte auf, wo sie Spiritualität leben können.

Ein bunter Strauß an Mitmach- Angeboten verbirgt sich hinter den Türen der KHG in der Hofstallstraße.
Bild: Anja Legge

Wer kommt denn dann heute zur KHG?

Burkhard Hose: Zu uns kommen junge Menschen, die sich ganz gezielt von bestimmten Angeboten ansprechen lassen. Zum Beispiel: Ich habe Spaß am Singen und gehe in den KHG-Chor, kaufe damit aber nicht das ganze Paket KHG oder gar Kirche ein. Die Motivation ist dabei ganz unterschiedlich: Manche sehen das als Kompetenzerweiterung parallel zu ihrem Studium, andere wollen gerade etwas ganz anderes machen als im Studium.

UMS: Es geht heute eher darum: Welches Thema interessiert mich, wo kann ich mich anbinden, wo finde ich Gemeinschaft?

Warum braucht eine Hochschule religiöses Leben?

UMS (lacht): Da müssten sie bei der Uni nachfragen.

BH: Die Frage ist für mich eher: Warum ist es für Kirche so wichtig, mit der Welt der Hochschulen in Kontakt zu sein? Ich glaube, Kirche kann deshalb nicht auf den Kontakt mit der Hochschule verzichten, weil das Orte der Neutralität sind, an denen nach- und vorausgedacht, kritisch hinterfragt wird. Außerdem verbringen junge Menschen dort eine wahnsinnig prägende Lebenszeit. Wenn wir da etwas hilfreich zur Verfügung stellen können, ist das schon was.

Also kann Kirche schon etwas für die Studierenden leisten…

UMS: Studieren ist eben mehr als Hörsaal und Seminar. Studieren ist Lebenszeit. Wir wollen uns in dieser Zeit zur Verfügung stellen, da sein für das, was Studierenden wichtig ist, Schritte mitgehen. Zugleich haben wir als KHG den Anspruch, ähnlich wie die Unis kirchlich ein Stück weit vorauszudenken, Wege einzuschlagen, die in den Gemeinden (noch) nicht möglich sind.

Die KHG also als Vorreiter?

BH: So würde ich das nicht nennen. Aber nicht umsonst sind Hochschulgemeinden ihrer Tradition nach Orte, wo Neues wachsen kann. In puncto Demokratisierung waren wir beispielsweise schon in den 1970er Jahren viel weiter als der Rest von Kirche.

Der ökumenische Semesterschlussgottesdienst auf der grünen Wiese mit Mitbring-Picknick erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit bei den Studierenden.
Bild: Malena Reul

Wie hat sich die Nachfrage denn zahlenmäßig verändert?

UMS: Bei sozialpolitischen Angeboten, bei Musik und Kultur ist die Nachfrage nach wie vor groß. Im Bereich Spiritualität und Glaube ist das unterschiedlich: Yoga und Meditation zum Beispiel sind immer sehr gut besucht. Auch das Taizé-Gebet ist ein spiritueller Raum, bei dem Studierende gerne andocken. Klassische Gottesdienst-Angebote dagegen stoßen mittlerweile auf geringeres Interesse.

BH: Der Sonntagsgottesdienst wird nicht mehr als so attraktiv empfunden. Corona hat einiges verändert, und sicherlich werden wir hier von der kirchlichen Gesamtsituation in Folge der Missbrauchsverbrechen eingeholt.

An Hochschulen kommen Studierende unterschiedlicher ethnischer, religiöser und sozialer Hintergründe zusammen. Gibt es noch DIE Zielgruppe? Oder ist eine Unterscheidung gar nicht gewollt?

UMS: Buntheit ist erklärter Teil unseres Leitbildes: Wir verstehen uns als offenes Haus, in dem alle willkommen sind, die an Würzburger Hochschulen studieren, lehren und arbeiten.

BH: Manche denken tatsächlich immer noch, dass wir eine Einrichtung für Theologiestudierende sind. Das ist aber gerade nicht so! Zu uns kommen alle, sehr viele Medizinstudierende, aber auch Studierende aus Sonderpädagogik, Lehramt, Jura oder BWL.

UMS: Ich höre ab und zu die Frage: „Ich bin nicht katholisch, darf ich trotzdem mitmachen?“ Daran sieht man, welche Hürde in unserem Namen und welche Last im Katholisch-Sein stecken. Sehr schade, denn die KHG ist ein offener Experimentier-, Gemeinschafts-, Lebens- und Glaubensraum, der offen für alle ist.

In der Hochschulgemeinde findet sich vor allem die Altersgruppe wieder, die in klassischen Gemeindegebilden unterrepräsentiert ist. Ist das ein Problem?

UMS: Ein Rückgang ist höchstens bei den Gottesdiensten spürbar. Ansonsten ist es sehr lebendig bei uns. Studierende bringen sich ein, machen Erfahrungen, teilen Leben.

BH: Bei einer statistischen Erhebung haben wir vor 15 Jahren 1000 Studierende pro Woche gezählt, vor 4 Jahren waren es 1500 pro Woche. Dieses Wachstum gegen den Trend sagt doch vieles, oder?

Nennen Sie doch mal ein paar Angebote aus dem Portfolio der KHG!

BH: Einige unserer Arbeitskreise wie der AK „Von Mensch zu Mensch“ reichen bis in die 1960er Jahre zurück. Damals war es ein starkes politisches Statement, Menschen mit Behinderung nicht zu betreuen, sondern gemeinsam Freizeit auf Augenhöhe zu verbringen. Das ist bis heute ein unglaublich lebendiger Kreis.

UMS: Oder die „ini ZELLE“ aus den 80er Jahren, bei der eine Gruppe von Studierenden eine Gruppe von Häftlingen in der JVA besucht. Ein Win-win-Angebot sind auch die Deutsch-Tandems in unserem Asyl-AK, in denen sich junge Leute gegenseitig ihre Muttersprachen beibringen. Diese Begegnung auf Augenhöhe setzt sich eigentlich überall fort.

Kann das vorbildhaft sein für Kirche?

BH: Auf jeden Fall. Studierende erzählen immer wieder, dass sie aus diesen Begegnungen mindestens so viel mitnehmen, wie sie geben. Das nimmt viel Gefälle weg, und in dieser Hinsicht kann Kirche viel lernen.

UMS: Das gilt auch beim Thema Gemeindeleitung. Gemeindeleitung ist bei uns paritätisch mit Studierenden und Hauptamtlichen besetzt. Das heißt: Jede Person zählt für sich genau so viel. Auch das kann ein Versuchsfeld für Gemeinden sein.

BH: Völlig richtig. Wir sind keine Nische oder Insel. Nein, wir sind Vollkirche!

Aber eben viel freier…

BH: Sicherlich begünstigen unsere Bedingungen das ein wenig. Durch den rascheren Wechsel bilden sich keine festen Traditionen heraus. So bleiben wir in Bewegung.

UMS: Alle könnten doch so frei sein! Wichtig ist, dass man Offenheit und Demokratie ganz bewusst lebt. Manche Diskussionen gehen bei uns in jedem Semester neu los, und das ist gut so.

Ab diesem Jahr bekommt die KHG zusätzliche
Räume im Herzen der Universität am Hubland in unmittelbarer Nähe von Uni-Bibliothek (Foto) und Mensa.
Bild: Anja Legge

Seit 2017 sind KHG und ESG auch am Hubland präsent. Jetzt steht ein Umzug in neue Räume in der renovierten Hubland-Mensa an. Wann wird Eröffnung gefeiert?

UMS: Die Räume in der „Wabe B“ hatten wir angemietet. Dann hat das dort ansässige Familienzentrum erhöhten Platzbedarf angekündigt. In diese Situation hinein hat uns die Universität neue Räume direkt bei der Hauptmensa angeboten. Die haben wir im September 2023 bezogen. Wegen bautechnischer Probleme bei der Mensa wurde die Eröffnung jetzt auf Beginn des Wintersemesters 2024/25 verschoben. Mit dem Einzug ins Herz der Universität setzt der Staat ja ein starkes Zeichen…

BH: Dass die Uni uns in der Mitte des studentischen Lebens unterbringt, ist für mich ein großer Vertrauensbeweis und ein tolles Statement. Das hätte man nicht gemacht, wenn wir im engeren Sinne missionarisch unterwegs wären. Da hat sich die gute Zusammenarbeit bewährt.

Was erhoffen Sie von den zusätzlichen Räumen in neuer Lage?

UMS: Wir hoffen, einen Raum öffnen zu können, wo Studierende sich zurückziehen oder ins Gespräch kommen können. Also eher eine Art „Zwischenraum“ zwischen Bibliothek, Seminar und Mensa. Weil studieren einfach mehr ist. Aktuell sind wir noch in der konzeptuellen Entwicklung. Durch die räumliche Nähe zu Studierendenvertretung und Studentenwerk können wir hoffentlich auch noch mehr Networking machen und sichtbarer mit dem sein, wie wir Kirche verstehen.

Welchen Platz hat die Hochschulgemeinde im Dreiklang Kirche – Gemeinde – Gesellschaft?

UMS: Mich spricht am meisten der Begriff Gesellschaft an – also gesellschaftliche Themen vor dem Hintergrund der christlichen Botschaft beleuchten und leben.

BH: Obwohl der Begriff Gemeinde in unserem Namen steckt, ist das für mich der engste Begriff, weil er zu abgeschlossen ist. Auch Kirche war keine Dimension der Botschaft Jesu, das Reich Gottes hatte für ihn immer eine gesellschaftliche Perspektive.

Und welche Rolle spielt die Hochschulseelsorge in einer Pastoral der Zukunft?

BH: Wenn die Pastoral der Zukunft ehrlich und ernst gemeint ist, wenn sich Kirche wirklich verändern lassen will, wenn sie nicht nur Felder studiert, um Strategien zu entwickeln, sondern um etwas zu lernen, dann können wir einen Beitrag leisten! Eine Hochschulgemeinde kann zeigen, was es heißt, keine monarchische, sondern eine bescheidenere Kirche zu sein. Lernen könnte man auch, wie man zu Wissen gelangt: Top-down, also von oben nach unten, oder lernend demokratisch?

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft?

UMS: Dass die Hochschulpastoral auch weiterhin personell und finanziell gut ausgestattet wird. Und ich würde mir wünschen, dass die finanzielle Verteilung mehr und mehr in die Hände von Menschen gegeben wird, die vor Ort arbeiten – nicht nur an Hauptamtliche, sondern für alle Engagierten.

BH: Mein Wunsch ist, dass das, was wir hier machen, weiterhin als wichtiger Ort für Kirche anerkannt wird. In anderen Bistümern wird Hochschulpastoral aktuell zu einer verengten Mission umgebaut. Da werden missionarische Gruppen aus den USA eingeflogen, um zu evangelisieren. Das ist für mich ein Horrorszenario, weil es zur Versektung von Kirche beiträgt. Die Aufgabe einer KHG ist für mich, weiter dazu beizutragen, die gesellschaftliche Relevanz und Weite der Botschaft Jesu sichtbar zu machen.

Das Interview führte Anja Legge.

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