Schulpastoral und Spiritualität

Schulpastoral steckt an – Ein Interview mit Helga Kiesel

Im Interview berichtet Helga Kiesel (HK), warum Schulpastoral heute wichtiger denn je ist, wo das Kernanliegen liegt und welche Unterstützung Lehrkräfte bekommen können

 

Helga Kiesel,
Referentin für Schulpastoral

Schulseelsorge, Schulsozialarbeit, Schulpastoral – viele Schlagworte, wenig Klarheit. Was ist Schulpastoral und wie grenzt sie sich von den anderen genannten Feldern ab?
Die drei Begriffe eint eigentlich mehr als sie trennt. Zu unterscheiden sind sie allenfalls durch die Motivation der AkteurInnen. Die meist vom Landratsamt getragene Schulsozialarbeit richtet sich an sozial schwache SchülerInnen. Schulpastoral und Schulseelsorge dagegen haben die Gemeinschaft aller ChristInnen und damit die gesamte Schulfamilie im Blick; wichtig sind gelebtes Christsein und die spirituelle Dimension. Schulseelsorge ist vor allem ein evangelischer Begriff, Schulpastoral das Geschenk der katholischen Kirche an die Menschen in der Schule. In der Realität gibt es viele Schnittstellen: Streitschlichter, Pausenengel, Gewaltprävention, Persönlichkeitsstärkung oder Schulhausgestaltung können von allen drei Feldern getragen werden. Ein echtes Proprium der Kirche sind Trauerbegleitung und der Umgang mit Krisensituationen, weil Kirche hier einfach Rituale parat hat, um mit der Sprachlosigkeit umzugehen.

 

Bis 2025 soll es an jeder Schule im Bistum Schulpastoral geben. Warum ist das so wichtig und was will man erreichen?
Junge Menschen haben einen hohen Bedarf an Zuwendung, sie brauchen Menschen, die ihnen zuhören. Die Gesellschaft ist heute zudem so schnelllebig, dass es Räume der Ruhe und Entspannung braucht und wir eine Kultur der Wertschätzung pflegen. Ein aufmerksamer Stil und Zeit für Gespräche kommen dabei nicht nur den SchülerInnen, sondern allen am Schulleben Beteiligten zugute. Und – ohne missionieren zu wollen: Schule ist oft der letzte Ort, an dem Kirche noch als wertvoll und hilfreich erlebt werden kann.

 

Worin liegt für Sie persönlich der Wert von Schulpastoral?
Ich erinnere mich mit Freude an die Gottesdienstvorbereitung am Ende unseres letzten Weiterbildungskurses: Nach zwei Jahren gemeinsamer Zeit haben sich alle elf Teilnehmenden eingebracht – mit ihren Gedanken, Erlebnissen, mit ihrer Beziehung zu Gott. Das ist mein Ideal für die Schule: Nicht nur einer hat wertvolle Gedanken für alle, sondern jeder darf sich einbringen.

 

Hört sich ein wenig wie ein Modell für die Kirche der Zukunft an…
Ja, das wäre tatsächlich mein Wunsch, dass jeder sich mit seiner Art einbringen darf und wir so das Leben miteinander feiern. Da brauchen wir nicht mehr fragen, welche Gottesdienstform die Kirche retten würde. Wenn die Menschen nicht mehr nur Zuschauer sind, sondern Teil einer Gemeinschaft, würde das sicher viele mitnehmen.

 

Wie sieht Schulpastoral vor Ort aus?
Das Spektrum ist so groß, dass ich hier seitenweise Aktionen vortragen könnte. Im Mittelpunkt steht auf jeden Fall der wertschätzende Umgang, der sich in Angeboten wie Offenes Ohr, Krisenseelsorge, Tagen zur Stärkung der Klassengemeinschaft oder Mobbingprävention ausdrückt. Jeder Mensch hat Sehnsucht danach, dass wir gut miteinander umgehen. Und es geht darum, Mensch sein zu dürfen, Stress rauszunehmen, entspannende Momente zu schaffen. Das ist auch bei den Lehrkräften dringender denn je: Statt immer mehr Druck auszuüben, müssen wir für unsere LehrerInnen sorgen, damit sie gelassen unterrichten können. Denn das setzt eine Positivspirale in Gang.

 

An welchen Schulen ist Schulpastoral möglich und wer leistet das vor Ort?
Schulpastoral ist an allen Schulen möglich und wichtig – egal ob staatlich, städtisch oder kirchlich, von der Grundschule bis zur Berufs- oder Förderschule. Die Durchführenden vor Ort sind nicht zwangsläufig katholische ReligionslehrerInnen; im letzten Kurs hatten wir zum Beispiel eine Mathe-Französisch-Lehrerin, die die Weiterbildung auch für ihre Tätigkeit als Beratungslehrerin genutzt hat. Zudem: Sobald sich Schulpastoral an einer Schule etabliert, steckt das an. An einer Schule etwa haben SchülerInnen von sich aus angeregt, ein Jahr nach dem Tod eines Mitschülers ein Gedenken an dessen Grab zu gestalten. An einer anderen Schule ist der Hausmeister Teil des Krisenteams.

 

Viele Religionslehrkräfte machen das bereits seit Jahrzehnten. Warum halten Sie die zweijährige Weiterbildung dennoch für empfehlenswert?
Weil sie zu einem professionellen Angebot befähigt. Die Lehrkräfte lernen, aufmerksamer mit sich selbst umzugehen, eigene Fähigkeiten zu entdecken und diese mit dem Bedarf an der Schule abzugleichen. Sie machen sich ihre eigene Spiritualität bewusst, reflektieren Erfahrungen – das kann gerade nach vielen Jahren Berufstätigkeit sehr wertvoll sein. Neben dem Theorie-Hintergrund halte ich auch die Einzel-Supervision und die Unterstützung durch das Netzwerk für einen großen Gewinn.

 

Das Team der Schulpastoral im Oktober 2021

Welche Unterstützung können Lehrkräfte im Bereich Schulpastoral bekommen?
Aktuell besteht das Referat Schulpastoral aus vier Mitarbeitern: Neben mir selbst im Raum Würzburg sind das Andrea Buhler-Schmidt für den Raum Aschaffenburg, Thorsten Kneuer für den Raum Schweinfurt und Giuseppe Concialdi für die Krisenseelsorge. Religionslehrkräfte können sich jederzeit für eine kollegiale Beratung an uns wenden. Das können Konflikte im Kollegium ebenso sein wie der Umgang mit Krisensituationen oder Todesfällen. Außerdem vermitteln wir an Supervision und übernehmen die Kosten, leisten finanzielle Unterstützung bei Fahrten und bieten eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Weiterbildungen.

 

Welche Angebote legen Sie Lehrkräften denn konkret ans Herz?
Neben unserer Grundausbildung „Schulpastoral“ bieten wir den Aufbaukurs „Seelsorgliche Beratung in der Schule“ an; hier trainieren die Teilnehmenden Beratungsgespräche und probieren verschiedene Ansätze wie die Personenzentrierte Gesprächsführung nach Rogers oder die Systemische Beratung aus. Sie lernen dabei, wie man die so wichtigen Tür- und Angel-Gespräche führt und den „günstigen Moment“ nutzt. Alle zwei Jahre laden wir zu unserm Schulpastoral-Tag mit Workshops zu verschiedenen Themen ein. Der nächste Tag findet am 29. April 2023 unter dem Titel „Damit die Quelle wieder sprudelt“ statt. Die enorme Resonanz mit rund 200 TeilnehmerInnen zeigt uns, dass das Angebot einen Nerv trifft. Interessant ist auch die Veranstaltung „Stärkung der Resilienz für Lehrkräfte und pädagogisches Personal“ vom 1. bis 3. März 2023. Und dann ist da noch unsere jährliche Veranstaltung „Umgang mit Tod und Trauer an der Schule“ vom 26. bis 28. Oktober 2022 – eine Art Crashkurs in Sachen Krisenseelsorge.

 

In welchem Verhältnis stehen Schule und Kirche in 10 Jahren?
Wenn man sich die Zahlen anschaut, kann einem da schon bang werden: Wir haben schon jetzt nur noch 50 Prozent christliche SchülerInnen. Wenn das so weitergeht, sind wir bald eine Minderheit. Mein Wunsch ist deshalb, dass wir weiter stark zusammenarbeiten für die Stärkung und Entwicklung unserer Jugendlichen. Die Schule ist eine Chance für die Kirche, mit Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Hier können sie erleben, dass christlicher Glaube eine Lebensrelevanz hat und lernen, wie sie eine humane Gesellschaft gestalten. Nicht umsonst lautet unser Motto: Der Mensch im Mittelpunkt!

Das Interview führte Anja Legge

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