Characterwalks
Ein neues Vermittlungsformat für das MAD (Museum am Dom, Würzburg). Von Michael Koller.
Sich im Museum am Dom vielleicht etwas verloren fühlen, war gestern. In Kürze bietet das MAD eine gute Möglichkeit an, alleine durch die Dauerausstellung zu wandeln und trotzdem geleitet und fachlich informiert zu werden. Kostenfreie Broschüren sollen dann das Besuchserlebnis deutlich steigern.
Aus der anfänglichen Fragestellung nach einem Orientierungs- oder einem Leitsystem für das MAD entwickelte das büro bungalow, welches das Museum in Sachen Branding und Ausstellungsdesign bei seiner Neuaufstellung begleitete, eine besondere Lösung, die beides miteinander in Einklang bringt. (Abb. 1)
Die sieben Themenbereiche der Dauerausstellung wurden dafür mit unterschiedlichen Farben gestaltet und mit den Headlines Natur, Mutter, Osten, Wege, Sohn, Jenseits und Mensch benannt. Um diese grafisch entsprechend aufzuwerten, wurden sie in der eigens dafür ausgewählten Schrift Galapagos des Designers Felix Salut gesetzt. Kurzweilig geschriebene Einführungstexte ermöglichen einen schnellen Zugang in das jeweilige Themenfeld. Die zunächst noch allgemeine Vorstellung von einem Leitsystem dachte büro bungalow mit der Entwicklung der von ihnen als „Characterwalks“ benannten Führungsbroschüren weiter. Diese sollen den unterschiedlichsten Wünschen der Besucher*innen nach spezifischen Informationen entsprechen. Bei einer überschaubaren Gesamtlesezeit von ungefähr 30 Minuten pro Heft werden jeweils 10 bis 12 Kunstwerke besprochen.
Zur Filterung möglicher Interessen und als Hilfestellung bei der Auswahl eines Heftes dient ein grafisch gestalteter Entscheidungsbaum an der Wand. Hier werden die zunächst angebotenen Walks Handwerker*in, Kunsthistoriker*in, Philosoph*in und Zeitreisende*r definiert und mit kurzen Stichpunkten umrissen. Unabhängig davon kann man freilich auch weiterhin als Freigeist, also ohne Heft, durch die Ausstellung gehen. (Abb. 2)
„Think what you like“, der Claim des MAD, wird zu „be what you like“ und lädt die Besucher*innen dazu ein, ihren Besuch in der Dauerausstellung je nach Lust und Laune auszurichten. In einzelnen Fächern unterhalb des Entscheidungsbaums liegen die Characterwalks zur Mitnahme bereit.
Eigens aus der Schrift Galapagos entwickelte Emojis, die auch bei den Objektbeschriftungen der Kunstwerke angebracht sind, prangen auffällig auf den Umschlägen der Hefte und animieren zum Zugreifen. (Abb. 3)
Schlägt man sie auf, zeigt gleich zu Beginn ein Grundriss, wie sich die Themenbereiche im Raum verteilen. Über eine Zahl lässt sich das jeweilige Kunstwerk finden. Hilfreich bei der Zuordnung ist zudem, dass die Bildtitel mit der Wandfarbe des Themenbereichs, in dem das Kunstwerk ausgestellt ist, hinterlegt sind.
Nach Titel und Abbildung des Kunstwerks legen kurze Texte Gedankenfäden aus, inspirieren zur vertiefenden Betrachtung und zu reflektierender Entschleunigung. Die gegenüberliegenden Seiten lockern mit zusätzlichen Erläuterungen, interessanten Vergleichsabbildungen, Zitaten oder weiterführenden QRCodes das Leseerlebnis auf.
Ist dem Gast also beispielsweise danach, den Museumsbesuch zu nutzen, um sich mit den großen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen, diese auf das eigene Leben zu spiegeln oder wieder einmal tief in sich selbst hineinzuhören, dann wäre der Griff zur Broschüre Philosoph*in eine gute Wahl.
Für alle, die sich eher für kunstgeschichtliche Zusammenhänge interessieren, liegt der Walk Kunsthistoriker*in bereit. (Abb.4)
Beispielhaft zeigen kurze Beschreibungen, wie man sich den Kunstwerken über eine genaue und analytische Betrachtung nähern kann, welche Prinzipien und Zusammenhänge dabei hilfreich sind und welche Ansätze zur Interpretation sich beim genauen Hinsehen ergeben. Informationen zu den Künstler*innen ordnen die Werke in größere zeitgeschichtliche, gesellschaftliche oder politische Kontexte ein und geben wertvolle Hinweise zu vertiefenden Fragestellungen. Häufig sind bei der Auseinandersetzung mit den Kunstwerken gerade aber auch technische und handwerkliche Aspekte interessant. Dann braucht es besonderes Sachwissen, um diese noch besser verstehen zu können. Mit den fachlichen Erläuterungen im Walk Handwerker*in werden die vorgestellten Kunstwerke vor allem im Hinblick auf technische Belange analysiert. Hinweise zu den verwendeten Materialien und deren Besonderheiten in der Verarbeitung oder genaue Beschreibungen der Fertigungsprozesse eröffnen neue Zugänge zu spannenden und wichtigen Wissensfeldern. Technische Abläufe beim Guss von Bronzeplastiken werden ebenso erklärt wie Besonderheiten bei der Bearbeitung von Elfenbein oder die Frage nach gemalten Reflexen in den Augen der dargestellten Figuren.
Möchte man – vielleicht auch bei einem nächsten Besuch – dieses Wissen noch um gezielt zeitgeschichtliche Bezüge erweitern, dann begibt man sich mit dem Characterwalk Zeitreisende*r auf Spurensuche. In welcher Zeit ist denn das Kunstwerk überhaupt entstanden? Welche sozialen und politischen Verhältnisse waren vorherrschend und wie wirkten sich diese auf den Künstler und seine Lebenswelt aus? Kunstwerke in derartige Zusammenhänge zu verorten, bringt eine ganz andere Sicht auf die Dinge und ergänzt den Besuch im MAD auf besondere Weise.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich in der im frühen Stadium des Projektes durchgeführten Besucher*innenbefragung ein recht positives Bild widerspiegelte. Die Auswertung der schriftlichen Fragebögen und die entsprechende Überarbeitung der Texte dürfte deren Nutzbarkeit ebenso verbessern wie die eingefügten Glossardefinitionen. Die zudem gewährleistete Zweisprachigkeit in Deutsch und Englisch erschließt neue Zielgruppen auch unter fremdsprachigen Gästen.
Mit den Characterwalks sind also erste wichtige Schritte im Hinblick auf die im Leitbild des MAD definierten Ziele zurückgelegt worden. Um deren Akzeptanz im Kreis möglicher Nutzer*innen noch zu fördern, sollen weitere Schritte folgen: Ein eigenes Themenheft für Familien mit Kindern ist dabei ebenso ein Desiderat wie eine Broschüre in leichter Sprache. Beide könnten sich als eine auf die jeweilige Zielgruppe hin aufbereitete Schnittmenge aus den vier vorliegenden Heften darstellen.
Doch bereits jetzt bringen die Characterwalks mit ihren niederschwelligen Zugängen zu den Themenwelten der Dauerausstellung das MAD seinem Ziel, ein Museum für für alle Menschen zu sein, einen großen Schritt näher – ganz im Sinne von Social Inclusion.