Vom Ort zum Thema: Heimspiel, Auswärtsspiel, virtuelles Spiel
Von Barbara Mack und Thomas Riebel.
„Camp Nou, Fußballstadion Eintracht Frankfurts in Barcelona, Spanien“ – so war es unmittelbar nach dem Triumph der Eintracht Frankfurt gegen den FC Barcelona am 14. April 2022 im Viertelfinalrückspiel der Europaleague auf Wikipedia zu lesen. Das Camp Nou wird seit diesem Ereignis insbesondere für die Fans der Eintracht ein ganz besonderer Ort sein, der für immer mit Triumph, Stolz und der Erfüllung eines Traumes verbunden sein wird, ein „Ort außerhalb der Orte“ (Michel Foucault). Sehr eindrucksvoll zeigt dieses
Ereignis auf, wie stark besondere Orte mit Themen und Fragen verbunden sind, die Menschen hier und jetzt umtreiben. Klassische Beispiele für solche Orte sind zum Beispiel der Friedhof, der unweigerlich die Frage nach der eigenen Vergänglichkeit aufwirft, der Bahnhof, bei dem Abschied und Erwartung als Themen im Mittelpunkt stehen oder die Sternwarte, die uns anregt, die Frage nach der Unendlichkeit zu stellen. Solche Orte wahrzunehmen, zu analysieren und sich von den aufgeworfenen Fragen existentiell berühren zulassen, gehört zu den genuinen Aufgaben schulischer und außerschulischer kirchlicher Bildungsarbeit. Deshalb haben wir in der Schulabteilung dieses Thema im Rahmen einer Fortbildung für Verantwortliche in der Lehreraus- und Weiterbildung aufgegriffen. Der Titel der Veranstaltung vom 10. bis 12. Januar 2022 im Würzburger Burkardushaus lautete entsprechend: „AndersOrte -Vom Ort zum Thema: Heimspiel – Auswärtsspiel – virtuelles Spiel. Philosophisch Theologische Gedankengänge als Proprium kirchlicher Bildungsarbeit.“
Heimspiel
Zum Einstieg ließen wir uns bei einer ungewöhnlichen Domführung durch Kreuzgang, Sepultur und Dachstuhl mit Blick von den verschiedenen Orgelemporen von den örtlichen Gegebenheiten beeindrucken und brachten die aufkommenden Fragen im Plenum ein. Professor Hans Joachim Sander von der Universität Salzburg griff anschließend die Thematik der Korrelation von Ort und Thema auf und erläuterte in sieben Punkten die verschiedenen Aspekte von Andersorten für den Menschen.
Auswärtsspiel
Der nächsteTag stand ganz im Zeichen des „Auswärtsspiels“, das für die Fortbildungsteilnehmer im Museum am Dom stattfand. Dabei durfen sie selbst ausprobieren, wie man „EigeneAntworten aufdie großen Fragen“ finden kann.
Virtuelles Spiel
Der abschließende dritte Fortbildungstag führte uns wieder zurück in das kirchliche Bildungshaus, gleichzeitig weitete sich unser Blick in den virtuellen Raum. Dipl. Theol. Barbara Mack, Referentin für Religionsunterricht und Digitalität, zeigte in ihrem Vortrag „Digital Natives -Kinder und Jugendliche in virtuellen Welten“, dass der digitale Raum für die Jugendlichen heute zu einem realen Ort geworden ist, an dem sie ihren existentiellen Fragen begegnen.
Festgemacht wurde dies an den Bereichen“SocialMedia -Nutzung“ sowie „Virtuelle Spielewelten“. An diesen Orten fragen Jugendliche nach Identität und Sozialität. In den sozialen Medien können sie sich selbst darstellen und Kontakt mit ihren Altersgenossen aufbauen und aufrechterhalten. „Virtuelle Spielewelten“ bieten ihnen die Möglichkeit, sich in ganz neuen Räumen zu erleben, eine Vielfalt von „Rollen“ auszuprobieren und sich selbst im Umgang mit anderen als Teil eines Teams wahrzunehmen.
Sie können ihre eigene Persönlichkeit bilden und weiterentwickeln, benötigen hierfür aber ein hohes Maß an Refexionsfähigkeit, Resilienz sowie medienpädagogische Hilfestellungen, um sich nicht in diesen Räumen zu verlieren und in der Realität verankert zu bleiben. Hier kann der Religionsunterricht wichtige Impulse und Unterstützung bieten.
Räume und Andersorte: Sieben elementare Strukturierungen – Von Hans-Joachim Sander
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Um Räume und ihre integrale Bedeutung im Lebenszusammenhang von Menschen zu erfassen, ist es hilfreich, das zu beschreiben, was sie nicht sind. Räume sind nicht so etwas wie Container, also Umgebungen, in denen etwas stattfndet. Sie umschließen uns Menschen nicht, sondern erschließen, mitgestalten oder verhindern menschliche Aktivitäten. 2
Räume sind schlichtweg da. Aber das ist keine einfache Aussage, sondern eine Zustandsbeschreibung. Es bedeutet, sie liegen weder in der Vergangenheit (als Relikte vergangener Geschehnisse) noch in der Zukunf (wie Utopien). 3
Die Relativierung, die von Räumen ausgeht, hat zwar einen konfrontativen, aber zugleich ermutigenden Gehalt.
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Räume sinderstens wahrnehmbar da, wie sie eben sind = espace perçu (firstspace), müssen deshalb aber von Menschen, die Räume nutzen oder ihnen ausgesetzt werden, erfasst werden(espace conçu). Und zugleich ist niemand fähig, vor dem Betreten eines Raumes schon zu wissen, was dort geschehen wird= espace vecu (thirdspace). Für religiöse oder spirituelle Aussagen ist der thirdspace stets der entscheidende Aspekt im Raum. 5
Wir Menschen sind zeitliche Wesen; wir haben eine Geburt und einen Tod. Beide sind Konfrontationen mit der eigenen Relativität. 6
Es kann jeder Ort zu einem Andersort werden, aber das lässt sich nicht aufgrund irgendwelcher Ideen, Pläne, Absichten erzeugen. Ein Andersort ist stets ein Außen, das ein Innenleben (einer Person, einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, eines Staates etc.) konfrontiert unter einer jeweils sehr spezifischen Hinsicht. Auch virtuelle Räume, narrative Räume, Literaturen können heterotopisch wirken, weil -und sofern- sie tatsächlich jetzt da sind. 7
Für Theologie ist die Konzeption Andersort sehr hilfreich. Sie lässt einen frischen Blick auf wichtige Traditionsstücke des christlichenGlaubens zu. |