Bildung beruht auf Freiheit
Das Interview mit Dr. Rainer Dvorak und Dr. Stefan Meyer-Ahlen führte Anja Legge.
Aus der kirchlichen Erwachsenenbildung im Bistum Würzburg ist sie nicht wegzudenken: 1950 hat die Katholische Akademie Domschule ihre Arbeit aufgenommen und damit an die traditionsreiche Würzburger Domschule angeknüpft, die seit dem frühen Mittelalter der Ausbildung des Klerus gedient hatte. Eine Besonderheit ist der überdiözesane Studienbereich Theologie im Fernkurs, der seit 1970 mit Auftrag und Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz theologische Kurse anbietet, in denen aktuell rund 1100 Studierende eingeschrieben sind. Im Interview sprechen der Direktor der Akademie Domschule Dr. Rainer Dvorak (RD) und der Leiter von Theologie im Fernkurs Dr. Stefan Meyer-Ahlen (SMA) über den unerlässlichen Dialog von Kirche und Gesellschaft und die Chancen kirchlicher Erwachsenenbildung.
Institute und Akademien für Erwachsenenbildung gibt es in der deutschen Bildungslandschaft so einige. Welche Rolle spielt hier die kirchliche Erwachsenenbildung?
RD: Nach dem Desaster des Zweiten Weltkriegs waren katholische und evangelische Akademien die Orte, an denen eine geistige, gesellschaftliche und kirchliche Neuorientierung stattfinden konnte. Dort wurden die großen Debatten zu elementaren Lebensfragen geführt. Dass der Domschule als staatlich anerkannte Bildungseinrichtung auch heute noch große Wertschätzung entgegengebracht wird, zeigt sich daran, dass wir sowohl als Institution als auch projektbezogen vom Freistaat gefördert werden.
SMA: „Theologie im Fernkurs“ hat in der Bildungslandschaft ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Zwar bieten auch andere, kommerziell orientierte Anbieter religionsthematische Fernkurse an, inhaltlich haben diese Kurse aber meist nicht dasselbe theologisch-wissenschaftliche Niveau, werden nicht mit Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz angeboten und sind oft um einiges teurer.
Als „Forum des Dialogs und der Begegnung der Kirche mit Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft“ bezeichnet sich die Akademie Domschule selbst. An welchen Punkten begegnen sich Kirche und Gesellschaft heute denn noch?
RD: An welchen Punkten begegnen sie sich denn nicht? Nur wenn Kirche nach außen wirkt, kann sie ihrem Auftrag gerecht werden – so wie Paulus, der auf den Areopag geht, um sich mit Menschen und ihren Überzeugungen auseinanderzusetzen. Das ist doch der Ursprungsimpuls, der dem Christentum innewohnt: auf die Marktplätze zu gehen, um bei den Menschen zu sein und Fragen des Lebens zu reflektieren. Was ist gelingendes Leben? Was bedeutet Gerechtigkeit? Wie möchte ich sterben? Diese elementaren Fragen gibt es zu allen Zeiten und sie stellen sich unabhängig jeder Kirchenzugehörigkeit. Je intensiver eine Bildungseinrichtung um diese Fragen ringt, desto intensiver sind Kirche und Gesellschaft in Kontakt. Die lehramtliche Grundlage dafür findet sich übrigens in der Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes“, wo es heißt „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ Das ist die Magna Charta unserer Bildungsarbeit!
SMA: Die Frage ist ja auch, wo diese Begegnungen stattfinden. Ermögliche ich ausschließlich Bildungsangebote im eigenen, kirchlichen Haus oder biete ich z.B. nach einer Theateraufführung einen Austausch an und führe das im Raum stehende Thema organisch weiter? Wir sind Teil der Gesellschaft und mit Menschen verwoben. Wir müssen keine Brücke bauen. Diese Brücke gibt es schon!
An welchen Orten findet Begegnung dann idealerweise statt?
RD: Das Burkardushaus ist gewissermaßen unser Standbein, aber wir haben auch ein Spielbein draußen, weil das Aufsuchen von Orten und Menschen für uns elementar ist. Mit der Veranstaltungsreihe „AndersOrte“ beispielsweise gehen wir an Orte, an denen Menschen bestimmten Fragen einfach nicht ausweichen können: Friedhof, Gefängnis, Gericht, Tanzschule, Bahnhof, Sternwarte, Krematorium. An die Psychiatrie etwa sind wir mit der Frage „Was ist normal?“ herangetreten. Die Verantwortlichen dort haben uns dann belehrt, dass die zentrale Frage, mit der sie dort tagtäglich ringen, eine ganz andere ist, nämlich: „Ist der Mensch frei?“. Genau das zeichnet diese Reihe aus: Nicht wir legen das Thema fest, sondern in den Orten selbst liegen die Fragen.
Bei Theologie im Fernkurs stellt sich die Ortsfrage nicht wirklich…
SMA: Ja und nein. Die insgesamt 95 Lehrbriefe können digital oder in gedruckter Form studiert werden, und zwar ortsunabhängig, berufsbegleitend und in einem frei wählbaren Zeitrahmen. Das Fernstudium passt sich also dem Leben an. Dabei sind die Lehrbriefe didaktisch so aufbereitet, dass man sich den Professor sozusagen ins Wohnzimmer holt. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung, dass Vernetzung und reale Begegnung enorm wichtig sind. Deshalb gehören zum Fernstudium deutschlandweit auch Studienveranstaltungen vor Ort, die gerne angenommen werden.
Wer durch das Akademie-Angebot blättert, ist überrascht über die Bandbreite an Themen…
RD: Richtig. Das hat auch mit dem hohen Grad der Vernetzung zu tun. Besonders enge Kooperationen haben wir mit der Universität, dem Uniklinikum und der Palliativakademie. Auf dem Kultursektor sind es das Mainfrankentheater oder das Kino Central. Und das ergibt natürlich eine ungeheure Breite an Veranstaltungen und Formaten.
SMA: Das zeigt ja auch, wie wir wahrgenommen werden: Da kommt jetzt nicht die katholische Einrichtung und erklärt die Welt, sondern: Wir sind gemeinsam auf der Suche, bieten andere Sichtweisen an, ermöglichen einen neuen Diskussions- und Resonanzraum.
Bei Theologie im Fernkurs lassen sich dogmatische Antworten vermutlich nicht immer vermeiden?
SMA: Natürlich vermittelt unser Curriculum die katholische Theologie. Die Lehrbriefe sind von anerkannten Professorinnen und Professoren der Theologie geschrieben und haben ein Prüf- und Zulassungsverfahren durchlaufen. Aber: Diese Lehrbriefe treffen auf unterschiedliche Menschen. Da sind diejenigen, die sich orientieren und informieren wollen, und diejenigen, die sich berufsqualifizierend weiterbilden wollen, etwa zur Gemeindereferentin, zur Religionslehrkraft im Kirchendienst oder zum ständigen Diakon.
Worin liegt denn der Vorteil des „Spätberufenen“ im Handlungsfeld Schule?
SMA: Diese Menschen bringen unglaubliche Lebenserfahrung mit, sind oft strukturiert und hoch motiviert. Und solche Menschen sind für jedes Bistum ein Gewinn.
Und wie sieht es mit denen aus, die sich nicht beruflich neu orientieren wollen? Warum studieren sie ausgerechnet Theologie?
SMA: Weil sie vielleicht spüren, dass das Leben mehr Schichten hat. Gerade an Wendepunkten oder bei existenziellen Erfahrungen merken viele, dass Leben mehr ist als Wohnung, Arbeit, Wochenende. Glaube und Religion können da eine Antwort bieten. Aber auch eine distanziertere Sicht ist völlig legitim. Das Studium lässt die Freiheit der Entscheidung. Denn Bildung beruht auf Freiheit. Ansonsten ist es Indoktrination.
Welche thematischen Schwerpunkte sind bei der Domschule besonders gefragt?
RD: Spätestens seit Veröffentlichung der MHG-Studie das Thema sexualisierte Gewalt und Missbrauch. Unserem Bischof bin ich außerordentlich dankbar, dass er hier an unserer Seite ist. Ein Dauerbrenner mit aktuell recht hoher Betriebstemperatur sind Fragen des synodalen Wegs und der Kirchenreform. In der Reihe „MACHTBEWUSST“ wollen wir Phänomene und Wirkweisen von Macht aufspüren – und zwar in allen Lebensbereichen. Seit etwa 20 Jahren bearbeiten wir in enger Kooperation mit der Palliativakademie das Thema Sterben, Tod und Trauer. Attraktiv sind außerdem Formate, in denen Event und Bildung Hand in Hand gehen. Vermutlich deshalb, weil sie Menschen nicht nur auf der kognitiv-argumentierenden Ebene ansprechen, sondern ganzheitlich mit ihren Emotionen und Haltungen. Wenn etwa der ukrainische Friedenspreisträger Serhij Zhadan im Luftschutzkeller der Erlöserschwestern spricht, hat das eine ganz intensive Wirkung.
Inwiefern können Religionslehrkräfte vom Angebot der Domschule profitieren?
RD: Bei uns finden Lehrkräfte eine fachliche Expertise zu aktuellen Themen auf der Höhe der Zeit. Zur Frage einer allgemeinen Impfpflicht etwa haben wir einen Ethiker, einen Juristen und einen Virologen an einen Tisch geholt. Die Besucher bekamen in 90 Minuten nicht nur ein vielschichtiges Kondensat, sondern konnten sich auch mit eigenen Beiträgen einbringen – und das digital von zu Hause aus. Am 12. Oktober beschäftigen wir uns gemeinsam mit dem Freundeskreis des Ökumenischen Zentrums Lengfeld mit „Herausforderungen des (konfessionellen) Religionsunterrichts“. Mit Prof. Ilona Nord und Prof. Johannes Heger konnten wir dafür ausgewiesene Fachleute gewinnen.
Wie sehen Sie die Rolle von Domschule und Fernkurs im Hinblick auf die Pastoralen Räume
RD: Die Ressourcen für Bildungsarbeit in den pastoralen Räumen sind derzeit eher gering. Die Teams vor Ort sind aktuell vor allem mit der Restrukturierung der Pastoral beschäftigt. Ich hoffe sehr, dass diese Phase bald überwunden ist und man den Blick wieder nach außen richtet. Denn dort bekommen Menschen die Luft, die sie zum Atmen brauchen.
SMA: Für Menschen, die ehrenamtlich arbeiten und immer mehr Verantwortung übernehmen, ist der Fernkurs aus meiner Sicht eine gute Möglichkeit, sich individuell zu stärken und Kompetenzen zu erweitern. Denn ein Engagement ohne Substanz hängt irgendwann in der Luft. Hier heißt es sprachfähig zu werden – und zwar fundiert und auf Augenhöhe. Und vielleicht gewinnt man darüber sogar Menschen für hauptamtliche Tätigkeiten.