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Kunst-Pause: Jesus – vom Kreuz gelöst, die Fäuste geballt

Vom Wandel einer Ikonografie in der ostdeutschen Kunst. Von Christoph Deuter.

Im MAD, dem Museum am Dom, widmet sich der Themenbereich „Osten“ dem künstlerischen Schaffen von Künstlern aus der DDR und deren Nachfolge. Ein Bildthema, das einen vom Kreuz sich lösenden bzw. in kämpferischer Pose absteigenden Menschen zeigt, fällt besonders auf. Gleich mehrere Künstler widmeten sich diesem Sujet: Fritz Cremer mit seinen beiden Arbeiten „Sich vom Kreuz Lösender“ (1978/80) bzw. „Endloses Kreuz“ (1980/82), Wolfgang Mattheuer mit seinem Gemälde „Kleines Kreuzbild“ (1977) oder Gudrun Brünes „Genug gekreuzigt“ (2011).

Der vom Kreuz herabsteigende Christus ist in der Kunstgeschichte schon seit dem Mittelalter durch die Darstellungen der Vision des Bernhard von Clairvaux bekannt. In einer umarmenden Pose drückt sich die von christlicher Mystik geprägte persönliche Beziehung des Gläubigen zu Christus aus. Der Schmerzensmann im Neumüster Würzburg (um 1350) lässt sich aus diesem Frömmigkeitsverständnis inspiriert betrachten.

Ganz, aber nicht gänzlich anders verhält es sich bei den hier abgebildeten Arbeiten. Auch hier steht letztlich der Mensch und sein Erlöst-werden bzw. Nichterlöst-sein im Mittelpunkt. Dabei wird er selbst zum Erlöser. Nicht die Befreiung des Menschen durch das Kreuz, durch das Leiden Jesu, sondern die Befreiung des Menschen vom Kreuz, vom Leid ist die zentrale Aussage. Ein Zitat Fritz Cremers verdeutlicht dies eindrücklich: „Für mich ist Christus die große Vaterfigur der revolutionären Weltanschauung. (…) Die Menschen haben sich doch nicht zufällig mit Christus identifiziert oder wegen des schönen Theaters in den Kirchen. Christus zeigt, was in den Menschen steckt. Nach der grässlichen Folter der sieghaft aufstehende Mensch. (…) Falsch ist die ganze Leidenslehre, nach der die Quälerei zur Erlösung führt. Angesichts der Wasserstoffbombe bleibt der Menschheit keine Möglichkeit zur passiven Hinnahme, zum Erleiden des Lebens mehr. Was stimmt, ist die Kraft im Menschen, das Leiden zu überwinden. Genug gekreuzigt. Das gilt politisch und weltanschaulich.“ (Richard Hiepe, Genug gekreuzigt! Besuch bei Fritz Cremer und seinem „Auferstehenden“, in: Tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst, 24. Jg, Nr. 143, 1983, S. 7.)

Der Mensch soll sein vermeintliches Schicksal nicht einfach erdulden, sondern durchaus kämpferisch dagegen angehen. Die geballte Faust steht dabei auch für die Wut und das Aufbegehren, den unbedingten Willen zur Befreiung. So klingt denn auch die zweite Strophe der Internationale beim Betrachten der Bilder im Ohr: „Es rettet uns kein höh’res Wesen / kein Gott, kein Kaiser noch Tribun / Uns aus dem Elend zu erlösen / können wir nur selber tun!“

Dieses Selber-Tun wird bei Mattheuer und Cremer durch die selbstporträthaften Züge der sich lösenden Figur unterstrichen. Sie setzen bei sich selbst an. Brüne wählt einen anderen Weg. Ihre Figur verdeckt ihr Gesicht mit dem roten T-Shirt und lässt dieses so zu einer Projektionsfläche für uns werden. Zugleich kann das Sich-überden-Kopf-ziehen des T-Shirts als Triumpf- und Siegesgestus gewertet werden. Wohl jeder kennt diese Pose von Torschützen beim Fußball. Ein Sich-befreien, ein Erlöstsein, ein: „Ich hab’s geschafft“.

Die beeindruckenden Kunstwerke können im Museum am Dom oder in der Printausgabe unserer Zeitschrift bewundern.

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