Theorie und Praxis

Jesus Christus als Lerngegenstand des Religionsunterrichts

Systematisierungen mittels eines religionsdidaktischen Quartetts. Von Johannes Heger.

1. Jesus Christus – in a nutshell

Rund 2023 Jahre ist es her, dass Jesus von Nazareth das Licht dieser Welt erblickte. Für Nicht-Christ:innen ist dieses Ereignis bis heute nicht mehr und nicht weniger (!) als die Geburt eines bedeutenden religiösen Führers der Antike, der sich an die Seite der Armen, Ausgestoßenen und Geächteten stellte; die Geburt eines Menschen, dessen Worte und Taten durch eine Vielzahl verschiedener Quellen belegt sind. Für Christ:innen damals wie heute verbindet sich mit diesem Ereignis aber mehr. Für sie ist Jesu Geburt das entscheidende Heilsereignis der Welt- und Menschheitsgeschichte: Indem Gott sich selbst entäußert (Kenosis), ganz Mensch wird (Inkarnation) und sich damit radikal auf die Welt einlässt, setzt sich die mit der Schöpfung begonnene Liebesgeschichte Gottes mit der Welt und den Menschen fort.

Nicht ganz 2000 Jahre ist es her, dass das Leben eben dieses Mannes aus Nazareth blutig am Kreuz der römischen Besatzungsmacht auf Golgotha endete, woraufhin sein Leichnam verschwand. Was für die einen nicht mehr und nicht weniger (!) als ein dramatisches Ende eines schillernden Lebens ist, ist für Christ:innen bis heute Teil des Kerygmas von Jesus, der durch seine Auferstehung den Tod besiegte (vgl. Oberthür; Baldermann; Schröter; Ebner).

Jesu ereignisreiches Leben, seine einprägsamen Worte, Reden und Gleichnisse sowie sein vielfältiges Wirken führten dazu, dass sein Name schon zu Lebzeiten in aller Munde war. Von den einen wurde er gehasst und verachtet, von den anderen geliebt und vergöttert – spätestens nach dem Osterereignis, dessen historisch unbestreitbarer Kern im Aufkeimen des Osterglaubens besteht (vgl. Becker/Johannsen).

Bereits diese Spotlights machen deutlich, warum zahlreiche Glaubenszeug:innen sich die Mühe machten, den Jesus-Stoff in literarische Formen zu gießen und mit ihren theologischen Interpretationen, Motiven und Termini anzureichern. Kirchenväter, Theolog:innen und Christ:innen der folgenden Jahrhunderte bedienten sich an diesem Schatz von Glaubensbezeugungen über Jesus (Christus) und vergrößerten ihn durch eigene Adaptionen. Und nicht zuletzt fasziniert und inspiriert die Person Jesu bis heute Kulturschaffende. Aufgrund

der Zentralität der Geschehnisse für den christlichen Glauben wurde das Kerygma vom auferstandenen Gottessohn bald zum zentralen Bestandteil der Katechese, später zum Gegenstand religiöser Bildung. Von daher ist es kein Wunder, dass es an theologischer, religionspädagogischer und religionsdidaktischer (vgl. Arbeitsgruppe KI; „Jesus Christus“ a und b; „Über Jesus im Bilde“) Literatur zu Jesus Christus nicht mangelt.

So ist es heute lange nicht mehr ausschließlich die Glaubensgemeinschaft der (katholischen) Kirche, welche die Geschichte Jesu tradiert. Vielmehr ist davon zu sprechen, dass bereits mit den ersten mündlichen und schriftlichen Erzählungen eine Pluralisierung der Perspektiven auf den Nazarener stattgefunden hat (vgl. Reents). In diesem sich auch heute noch vergrößernden polyphonen Klangraum von Deutungen müssen sich Schüler:innen, aber auch Religionslehrer:innen einen Begriff von Jesus machen und dürfen ihre individuelle Beziehung zu ihm finden.

Soweit zum Versuch, die Lebens- und Traditionsgeschichte Jesu Christi sowie das globale, mit ihm verbundene schulische Bildungsziel religionspädagogisch zugespitzt „in a nutshell“ zusammenzutragen. Angesichts dieses weiten Feldes kann es im Folgenden nicht darum gehen, einen erschöpfenden religionspädagogischen Beitrag zu Jesus Christus zu bieten. Das notwendig zu formulierende Ziel der folgenden Ausführungen besteht vielmehr darin, (angehenden) Religionslehrer:innen durch religionsdidaktische Systematisierungen einige entscheidende Orientierungsmarken und die eine oder andere theologische oder unterrichtspraktische Idee an die Hand zu geben – ausgehend vom Begriff des Lerngegenstandes.

2. Der Lerngegenstand und das religionsdidaktische Quartett als Fokus

Bei aller Vielfalt religionsdidaktischer Prinzipien, Inhaltsbereiche, Lernwege und Methoden sowie Systematiken ihrer Strukturierung gibt es eine einende Prämisse jedweder Form der Religionsdidaktik: Sie hat bleibend Abstand genommen vom normativ-katechetischen Vermittlungsgedanken, bei dem ein immer schon feststehender Inhalt (bspw. Jesus Christus) über den orchestrierten Einsatz von Lernmedien und Methoden an die Rezipient:innen übermittelt wird (vgl. Heger 2021b, 534 – 535).

Den Prämissen der Lebenswelt- und Subjektorientierung entsprechend, fragt die Religionsdidaktik zwar weiterhin nach dem theologischen Inhalt, aber zugleich auch nach dem Vorwissen, den Konzepten sowie Einstellungen der Lernenden. Ihr Ziel besteht darin, die Glaubensüberzeugungen der christlichen Tradition mit den Lebensdeutungen der Subjekte in einen fruchtbaren Dialog zu bringen (vgl. hinsichtlich des Korrelationsgedanken Heil, 9 – 29.62 – 67; im Kontext der COACTIV-Studie Schambeck, 62 – 79). Dieser Dialog wird in der fachdidaktisch profilierten Rede vom Lerngegenstand dahingehend konkretisiert, dass die Paarung aus Inhalt und Subjekt durch eine Operation ergänzt wird (vgl. Reis/Schwarzkopf, 65 – 74).

In einer solchen lerngegenstands- und kompetenzorientierten Religionsdidaktik geht es bspw. nur bedingt darum, dass Schüler:innen Interpretationen des Kreuzestodes nacherzählen können (= katechetischnormatives Modell). Vielmehr geht es darum, dass sie unter Rückgriff auf Modelle der Kreuzesdeutung (= Inhalt) sich selbst (= Subjekt) zum Kreuzestod Jesu positionieren können (= Operator). So besehen, lässt sich von einer religionsdidaktischen Trias sprechen.

Lehr- und Lernprozesse müssen in dieser Logik also so strukturiert werden, dass das benötigte Wissen aufgebaut wird sowie Anforderungssituationen für die intendierten Operationen geboten werden (vgl. Obst, 178 – 196). Neben dem didaktischen Arrangement verlangt dies von der Lehrkraft noch mehr: Sie muss sich selbst mit in den Deutungsdiskurs geben, damit im Wechselspiel aus Fremd- und Eigendeutung ein Resonanzboden für die Positionsbestimmung der Subjekte entsteht. Dies fordert die Lehrkraft also de facto dazu heraus, um den Lerngegenstand zu wissen, sich selbst zum Lerngegenstand zu positionieren und diese theologisch-subjektive Perspektive ins Unterrichtsgespräch einzubringen (vgl. Heger 2021a, 148 – 150; Englert et al., 228). Kurz gesagt: Wer religiöse Lernprozesse zu Jesus Christus initiieren möchte, muss seine eigene Position zum Nazarener reflektiert haben (vgl. Leven, 153-157.229 – 232). Diese Prämisse lässt aus der konstruierten Trias schließlich ein auch grafisch abgebildetes „religionsdidaktisches Quartett“ werden.

3. Jesus Christus – Facetten entlang des religionsdidaktischen Quartetts

Dieses Quartett, dessen Karten sich wegen noch zu zeigender Überschneidungen überlappen, lässt sich als hermeneutischer Schlüssel und religionsdidaktisches Systematisierungsraster für verschiedene Zwecke einsetzen. Im Folgenden werden am Lerngegenstand „Jesus Christus“ die einzelnen Quartettkarten exemplarisch illustriert. Die vielfältigen Verweise auf theologische und religionspädagogische Forschungs- sowie religionsdidaktische Praxisliteratur bieten die Möglichkeit, aus dem Dargelegten ein eigenes Spiel zu kreieren.

Quartettkarte 1: Subjekte

(Religions-)Pädagogisch motiviert ist zuerst die Karte der Lernenden und die Frage von Interesse, mit welcher Perspektive sie Jesus (Christus) erschließen. V. a. im Bereich der Entwicklungspsychologie (vgl. Büttner/Veit-Jakobus, 191 – 206) sowie der Kinder- und Jugendtheologie (Bucher; Roose 2015, 3 – 5) gibt es eine Vielzahl von Studien, die besonders im Hinblick auf sogenannte Teil-Christologien, wie z. B. Wunder; Tod und Auferstehung Jesu (vgl. Heger 2015) religionsdidaktisch relevante Erkenntnisse über die Sicht von Schüler:innen bereitstellen (vgl. Höger). Diese können einen Ausgangspunkt oder ein kritisches Reflexionsmoment für religionsdidaktische Entwürfe zu Jesus Christus darstellen, wenn geprüft wird, ob die in Theorie und Praxis entwickelten didaktischen Konzepte bzw. Modelle zu den Perspektiven der Lernenden passen (vgl. Büttner/Reis, v. a. 116 – 163).

Im Sinne der hier intendierten generellen Orientierung seien lediglich zwei m. E. entscheidende und ggf. überraschende Erkenntnisse aus diesem Forschungsund Wissenspool benannt:

1. Christologie schon im Kindesalter: Entgegen der Annahme, man müsse Kindern primär einen Zugang zum irdischen Jesus eröffnen, um in einem zweiten Schritt Jesus als Christus kennenzulernen [so die These vom „didaktischen Prae des historischen Jesus“ (vgl. Fischer, 80 – 88)], zeigt sich, dass bereits Kinder christologische Aspekte in ihr Konzept von Jesus Christus einbeziehen. Daher gilt es, eine Kombination aus Christologie von oben und unten (vgl. Ritter/Simojoki) als religionsdidaktische Leitlinie für die Primarstufe in Anschlag zu bringen (vgl. Quartettkarte 2).

2. Pluralität der (juvenilen) Zugänge: Wie u. a. Tobias Ziegler (vgl. Wüstner; Ziegler 208 – 284) in seiner einschlägigen Studie zeigt, ist bei Jugendlichen von sehr verschiedenen Haltungen zu Jesus auszugehen (u. a. kritiklos-indifferent; kritisch-ablehnend; kritisch-aufgeschlossen). Um dem Anspruch der Adressat:innen-Orientierung sowie dem theologischen Befund der Pluralität von Christusbildern (vgl. Quartettkarte 2) zu entsprechen, bedarf es demnach religionsdidaktischer Settings, welche diese Pluralität abbilden sowie pluralitätssensible Religionslehrer:innen (vgl. Solymár, 240.263f).

Quartettkarte 2: Theologie

Mit der Pluralität der Christusbilder ist bereits angedeutet, dass der Lerngegenstand Jesus Christus sich auch aus fachwissenschaftlich-theologischer Perspektive vielfältig und komplex darstellt. Um diese Karte religionsdidaktisch zu spielen, sind u. a. folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Jesus Christus als Distinktionsmerkmal des Christentums: Während Judentum, Islam und Christentum im Glauben an einen Gott verbunden sind, bildet Jesus Christus das entscheidende Distinktionsmerkmal, da er im christlichen Glauben nicht nur als Mittler erscheint, sondern als Selbstmitteilung Gottes (vgl. Khorchide; Homolka). Neben dem formalistischen Argument der Verankerung in Lehr- und Bildungsplänen resultiert aus diesem Zusammenhang die theologische Notwendigkeit, Jesus Christus im Religionsunterricht zu thematisieren. Zum anderen ergibt sich zugleich die Option, dies mit einem Zugang zu tun, der sowohl religionsinhärent (u. a. Messias; Menschensohn; Christus) als auch interreligiös (u. a. Prophet; Glaubensbruder; Gott) die Pluralität jesuanischer bzw. christologischer Konzepte abbildet (vgl. Kügler).

Von der Deutung zur Bedeutung Jesu Christi!? Angesichts der hier nur angedeuteten Pluralität der Perspektiven auf Jesus muss der Versuch zwangsläufig scheitern, all diese Facetten enzyklopädisch abarbeiten zu wollen. Entsprechend des eingangs formulierten Globalzieles gilt es vielmehr, durch ein möglichst reichhaltiges Angebot von Konzeptionen (bspw. „leidender Schmerzensmann“ vs. „triumphierender König“) der Geschichte und Gegenwart die Lernenden zu einer Positionierung einzuladen, aus der ggf. eine (Glaubens-)Beziehung zu Jesus entstehen kann (vgl. Tomberg, 196f). Weil diese jedoch sowohl der Freiheit Gottes (Glaube als gnadenhaftes Geschenk) als auch der Freiheit der Schüler:innen (Religionsfreiheit) unterliegt, muss für den Religionsunterricht gelten: Deutung und Positionierung ja, Bedeutung und Beziehung gegebenenfalls.

Jesus als historische Gestalt mit universaler Bedeutung: Dieses lernortspezifische Framing gewinnt angesichts der juvenilen Skepsis gegenüber Glaubensinhalten zusätzliches Gewicht. Von daher ist es alles andere als trivial, dass Christus als auferstandener Erlöser der Welt geglaubt wird. Dieses Sprungs in den Glauben bedarf es jedoch nicht, um Jesus als historische Gestalt mit einem vorbildhaften humanen Ethos zu erschließen. In diesem (!) Sinn lässt sich also davon sprechen, dass Jesus unter dem Vorzeichen der Freiheit auch eine Bedeutung für alle Schüler:innen entfalten kann und m. E. auch soll.

Jesu Themen als unsere Themen entdecken: Religionsdidaktisch konkretisiert werden kann dies u. a. damit, Jesu Botschaft aktualisierend in den Kontext der Gegenwart zu übertragen. So erweist sich bspw. das „Gebot der Gottes- und Nächstenliebe“ (Mk 12, 28 – 31 par) nicht nur für Jesus als wichtigstes Gebot unter allen. Auch in den Gesetzen und Strukturen des bundesdeutschen Sozialstaates sowie in den Normen der Internationalen Erklärung der Menschenrechte findet sich die säkular gewendete Prämisse der unbedingt anzuerkennenden Würde des Nächsten. Dennoch steht dieser humane Grundsatz permanent in Gefahr, ausgehöhlt zu werden. Aktuell zeigt sich dies u. a., wenn in der Ukraine eine Territorial- und Vergeltungslogik das menschliche Bedürfnis nach Friede vergessen lässt (vgl. Roose 2016) oder das Bedürfnis nach nationaler Sicherheit und Wohlstand das Schicksal von Millionen von Migrant:innen überschattet.

Wahrer Mensch und wahrer Gott: So wichtig diese Aktualisierung und dieser Bezug auf das immanente Wirken Jesu auch sind, so wichtig ist es, mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis und der Passage „in a nutshell“ (vgl. Abschnitt 1) daran zu erinnern, dass Jesus Christus nicht nur ganz Mensch, sondern zugleich (!) auch ganz Gott ist (vgl. Pemsel-Maier). Daher müssen sich beide Dimensionen im Religionsunterricht wiederfinden. Es ist also die Aufgabe für die Lehrkraft, in der Sequenzplanung bewusst Momente einer Christologie von oben mit einer Christologie von unten zu arrangieren (vgl. Porzelt/Stögbauer-Elsner, 182f)

Quartettkarte 3: Operatoren

Wie auf diesen Grundlagen das religionsdidaktische Spiel genau gespielt werden soll, das ist nicht zuletzt eine Frage der gewählten Operatoren. Im Folgenden gilt es daher, paradigmatische sowie kreative Beispiele für etablierte Erschließungswege anzudeuten:

Mit Kindern und Jugendlichen über Jesus Christus nachdenken: Nicht umsonst bringen religionsdidaktische Reflexionen über Jesus Christus gerade die Ansätze der Kinder- und Jugendtheologie prominent ins Spiel. Diese drücken in ihrer Grammatik aus, dass sowohl die kognitiven Konstruktionen der Lernenden zu Jesus (Theologie der; Quartettkarte 1) als auch bewusst modellierte theologische Lerngegenstände und Instruktionen (Theologie für; Quartettkarte 2 und 4) benötigt werden, um schließlich mit den Lernenden zu theologisieren (Quartettkarte 3) (vgl. Müller-Friese, 2014a und 2014b).

Erzählen, inszenieren und deuten: Dass Jesus seine Frohbotschaft auch in narrativem Gewand dargelegt hat, ist theologisch und religionsdidaktisch nicht unbedeutend. Denn Erzählungen bewegen Menschen aller Alterskohorten mehr als systematische Abhandlungen. Von daher lässt sich ein pädagogisch vielversprechender Zugang darin ausmachen, über Jesus zu erzählen. Denn nur durch die bewussten Mittel der Erzählung und des Erzählens entsteht in der Gegenwart ein Bild von Jesus in „vibrierende[r] Plastizität“ (Wenzel, 404). In der Primar- und Sekundarstufe I kann dies konkret umgesetzt werden, indem biblische Geschichten bspw. durch Godly Play oder Erzähltheater visualisiert und damit lebendig gemacht werden (vgl. Steinhäuser). Je nach Inszenierung gelingt dies unabhängig von der Klassenstufe auch über die Methode des Bibliologs (vgl. Pohl-Patalong, 119 – 124). Primär für Schüler:innen der Sekundarstufe II ist es möglich, einen Lernweg auch entlang moderner Erzählungen zu beschreiten – wie bspw. anhand von Gerd Theißens „Der Schatten des Galiläers“ (vgl. Zimmermann/Sohns/ Theißen). Entscheidend bei all diesen Optionen ist es, den Modus des Erzählens bzw. Inszenierens auch mit den Schüler:innen metareflexiv einzuholen.

Analysieren, deuten und bewerten: Tradierungen des jesuanischen Wirkens lassen sich aber nicht nur erzeugen, sondern mannigfaltig entdecken. Nahezu in jedem Medium – bspw. Kunst, Film, Serie, Videospiele (vgl. Gärtner/Burrichter, 118 – 125.150 – 157; Langenhorst; „The Chosen“; „I Am Jesus Christ“) – lassen sich Adaptionen und Transformationen des Lebens und Wirkens Jesu finden. Diese können mit Schüler:innen auf ihren theologischen Gehalt bzw. auch ihre Funktionalisierung hin analysiert werden. Damit lernen Schüler:innen nicht nur etwas über Jesus Christus, sondern auch über die Darstellung religiöser Themen in Medien sowie ihre eigene religiös-mediale Sozialisation.

Theologisch forschen: Zu den (hoch-)schuldidaktischen Trends gehört v. a. in den MINT-Fächern mitunter das sogenannte „Forschende lernen“ (vgl. Rott/Feindt). Gerade für ältere Schüler:innen könnte der Grundgedanke dieses Prinzips fruchtbar gemacht werden, indem unterschiedliche Jesusbilder der Tradition auf ihre Herkunft, Funktion und theologische Legitimität hin befragt werden – eingeschlossen unserer westlichen Annahme eines weißen Jesus (vgl. Quartettkarte 4).

Quartettkarte 4: Lehrkraft

Damit Religionslehrer:innen erfolgreich mit den Quartettkarten 1 – 3 arbeiten können, bedarf es schlussendlich auch einer Beantwortung der Frage, wer Jesus für mich ist. Für diesen durch die eigene Glaubensbiografie geprägten, durch das Studium intensivierten und durch Weiterbildungen ggf. forcierten und nie abgeschlossenen Klärungsprozess lassen sich keine Normen festlegen. Dienlich ist es jedoch in jedem Fall, dem eingangs gegebenen Beispiel zu folgen und eine individuelle „in-a-nutshell“-Story von Jesus zu entwickeln. Darin besteht ein Weg, sich narrativ (vgl. Quartettkarte 3) zu vergewissern, was mir wichtig ist und was ich persönlich über Jesus erfahrbar werden lassen möchte. Zu meinen persönlichen Schwerpunkten gehören u. a.:

Jesus (Christus) – mit Ecken und Kanten: Nicht selten ist es Materialien für den Religionsunterricht zu eigen, dass sie ein stromlinienförmiges Bild von Jesus entwerfen. Liest man jedoch die biblischen Texte ohne eine solche Überformung, dann begegnet Jesus in meiner Lesart als ein Typ mit Ecken und Kanten: er büxt seinen Eltern aus (Lk 2, 41 – 52); er wirft im Zorn Händler aus dem Tempel (Mt 21,12-17 par.); weil er nicht nur lehrt und heilt, sondern auch das Leben feiert, wird er als „Fresser und Säufer“ (Lk 7, 34) tituliert; weil er ganz Mensch geworden ist, blickt er seinem Tod nicht heroisch, sondern mit Furcht entgegen (Lk 22, 41 – 44). Für mich erzeugt dieser unangepasste, dieser bewusst gegen die gesellschaftlichen Normen schwimmende, dieser emotionale Jesus eine höhere Faszination als geglättete Idealisierungen katechetisch-indoktrinierender Art.

Jesusbilder und Mythen dekonstruieren: Für meinen Glauben ist der rationale Zugang unabdingbar und damit auch die immerwährende Aufgabe, die eigenen religiösen Konzepte zu überprüfen. So ist es für mich persönlich, aber auch in religionsdidaktischer Absicht bereichernd, mit Fehlvorstellungen, Klischees und Mythen von bzw. über Jesus aufzuräumen, die sich bspw. um das Grabtuch von Turin ranken (vgl. Kollmann, 160 – 171). Dass Jesus aufgrund seiner Herkunft wohl kein Mensch mit weißer Hautfarbe, sondern eine Person of Colour war, gehört – um ein zweites Beispiel zu nennen – zu den Dekonstruktionen, die ein kulturell gewachsenes und kollektives Mindset positiv irritieren können und müssen (vgl. Pittman/Boyles).

4. Jesus Christus – a never-ending story

Die Leitmetapher des Quartetts offenbart schließlich in der Zusammenschau aller beschriebenen Karten ihren Sinn: Religionsunterricht zu Jesus Christus zu planen, kann als Quartettspiel begriffen werden, bei dem die unterschiedlichen Optionen für die Karten die Spielvariablen bilden. Aber auch mit den unzähligen resultierenden Spielvarianten sowie den in den Fußnoten gegebenen weiterführenden Verweisen ist die Geschichte Jesu nicht zu Ende erzählt.

Vielmehr garantiert die Individualität der Aneignung von Jesus (Christus) im je zeit-räumlichen Kontext und deren bleibend-dynamische Verwirklichung in Kunst und Kultur, dass die Story von Jesus so schnell nicht enden wird. Und so bleibt es für Theolog:innen, Religionspädagog:innen und Religionslehrer:innen eine permanente Aufgabe, sich selbst zu fragen, wer dieser Jesus angesichts der jeweiligen Zeit und Umstände für mich ist. Auf dieser Basis gilt es ebenso dynamisch und am Puls der Kultur- und Lebenswelt zu eruieren, wie das religionsdidaktische Quartett so gespielt werden kann, dass es Lernenden Freude bringt und ihnen bei der Klärung hilft, wer Jesus für sie ist.

Und vielleicht waren auf diesen Seiten sogar Spielkarten, die für die eine oder den anderen Leser:in eine Motivation bieten, ihre Karten bewusst (neu) zu mischen. Mit dem eingeführten religionsdidaktischen Quartett auch die gesamte Struktur des Lehrplans (bspw. zu Jesus Christus) konstruktiv-kritisch zu hinterfragen, wäre ein weiterer Impuls und zugleich ein lohnendes Spiel für einen anderen Ort …

Literatur

· „I Am Jesus Christ“ (https://store.steampowered.com/app/ 1198970/I_Am_Jesus_Christ/ 03.03.2023) · Arbeitsgruppe des Katechetischen Instituts Würzburg 2005, Für wen halten ihn die Leute? Jesus Christus – Anstoß und Herausforderung. Arbeitshilfen zum Lehrplan Katholische Religionslehre der 9. Jahrgangsstufe der Hauptschule (= Würzburger Hefte 6/2005).

· Baldermann, I. 2009, Jesus von Nazaret, Düsseldorf. (Hier wird eine umfassendere Geschichte von Jesus erzählt, die ebenfalls dem „in-a-nutshell-Gedanken“ verpflichtet ist.)

· Becker, U./Johannsen, F. 20144 , Nun aber ist Christus auferstanden. Das neutestamentliche Osterzeugnis, in: Dies. u. a. (Hg.), Neutestamentliches Arbeitsbuch für Religionspädagogen, Stuttgart, 177-186. · Bucher, A. u. a. (Hg.) 2008, „Sehen kann man ihn ja, aber anfassen …?“ Zugänge zur Christologie von Kindern, Stuttgart.

· Büttner, G./Reis, O. 2020, Modelle als Wege des Theologisierens. Religionsunterricht besser planen und durchführen, Göttingen · Büttner, G./Veit-Jakobus, D. 20162 , Entwicklungspsychologie in der Religionspädagogik, Göttingen.

· Ebner, M. 20122 , Jesus von Nazaret. Was wir von ihm wissen können, Stuttgart.

· Englert, R./Hennecke, E./Kämmerling, M. 2014, Innenansichten des Religionsunterrichts. Fallbeispiele – Analysen – Konsequenzen, München.

· Fischer, F. 1990, Die Frage nach Jesus Christus im Katholischen Religionsunterricht der Grundschule, Donauwörth.

· Gärtner, C./Burrichter, R. 2014, Mit Bildern lernen. Eine Bilddidaktik für den Religionsunterricht, München.

· Heger, J. 2015, Passion und Auferstehung, bibeldidaktisch, Sekundarstufe, in: WiReLex; (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100041/ 03.03.2023) · Heger, J. 2021a, Lehrpersonen als Vertreterinnen und Vertreter der Kirche, in: Kropač, U./Riegel, U., Handbuch Religionsdidaktik, Stuttgart, 144–150.

· Heger, J. 2021b, Religionsdidaktik als Wissenschaft, in: Kropač, U./ Riegel, U., Handbuch Religionsdidaktik, Stuttgart, 526-536.

· Heil, S. 2013, Religionsunterricht professionell planen, durchführen und reflektieren. Ein Leitfaden für Studium und Praxis, Stuttgart.

· Höger, C. 2015, Jesus Christus, bibeldidaktisch, in: WiReLex; (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100044/ 03.03.2023) · Homolka, W. 20215 , Der Jude Jesus – eine Heimholung, Freiburg/ Basel/Wien. (Zu einer theologisch spannenden und aktuellen jüdischen Perspektive auf Jesus Christus.)

· Khorchide, M. 2018, Der andere Prophet. Jesus im Koran, Freiburg/ Basel/Wien; Homolka, W., Der Jude Jesus – eine Heimholung, Freiburg/Basel/Wien. (Zu einer theologisch spannenden und aktuellen islamischen Perspektive auf Jesus Christus.)

· Kollmann, B. 20092 , Die Jesus-Mythen. Sensationen und Legenden, Freiburg.

· Kügler, J. 2003, „Für wen haltet Ihr mich?“. Neutestamentliche Christologien und ihre Relevanz für heutiges Christsein, in: rhs 46, 6, 311–318.

· Langenhorst, G. 1998, Jesus ging nach Hollywood. Die Wiederentdeckung Jesu in Literatur und Film der Gegenwart, Düsseldorf.

· Leven, E.-M. 2019, Professionalität von Lehrkräften. Eine explorative Studie zur Rekonstruktion fachspezifischen Professionswissens sowie handlungsbezogener und reflexiver Kompetenzen von Religionslehrkräften, Berlin.

· Müller-Friese, A. 2014a, Jesus (Christus), in: Büttner, G. u. a. (Hg.), Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, München, 310–320.

· Müller-Friese, A. 2014b, Jesusgeschichten, in: Büttner, G. u. a. (Hg.), Theologisieren mit Kindern. Einführung – Schlüsselthemen – Methoden, München, 321–329.

· Oberthür, R. 2021, Jesus. Die Geschichte eines Menschen, der fragt, Kösel. (Hier wird eine umfassendere Geschichte von Jesus erzählt, die aber in ähnlicher Weise dem „in-a-nutshell-Gedanken“ verpflichtet ist.)

· Obst, G. 20154 , Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht, Göttingen.

· Pemsel-Maier, S. 2016, Gott und Jesus Christus. Orientierungswissen Christologie, Stuttgart.

· Pittman, A. J./Boyles, J. H. 2019, Challenging White Jesus: Race and the Ungraduate Bible Classroom, in: Religious Education 114, 3, 315–327.

· Pohl-Patalong, U. 20133 , Bibliolog. Impulse für Gottesdienst, Gemeinde und Schule, Bd. 1: Grundformen, Stuttgart.

T h e o r i e

· Porzelt, B./Stögbauer-Elsner, E. 2021, Jesus Christus, in: Dies./Lindner, K. (Hg.), Studienbuch Religionsdidaktik, Stuttgart, 179–188.

· Reents, C. 1999, Welches Jesusbuch wünschen Sie?, in: Biehl, P. u. a. (Hg.), Jesus Christus in Lebenswelt und Religionspädagogik (= JRP 15), Neukirchen-Vluyn, 219–236.

· Reis, O./Schwarzkopf, T. 2015, Diagnose religiöser Lernprozesse, in: Dies., T. (Hg.), Diagnose im Religionsunterricht. Konzeptionelle Grundlagen und Praxiserprobungen, Berlin/Münster, 15–120.

P r a x i s

· Ritter, W. H./Simojoki, H. 2014, Jesus Christus. Elementare Zugänge zwischen „Jesulogie“ und „Christologie“, in: Lindner K. u. a. (Hg.), Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts, München, 188–203. · Roose, H. 2015, Jesus Christus, bibeldidaktisch, Grundschule, in: WiReLex 3–5, (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100043/ 03.03.2023) · Roose, H. 2016, Die Friedensbotschaft Jesu als Bildungsmotiv, in: ZPT 65, 4, 341–352.

· Rott, D. C./Feindt, A. 2018, Forschendes Lernen, in: WiReLex, (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/200274/ 03.03.2023) · Schambeck, M. 2022, Von Gott, Jesus, Religionen und so. Was Relilehrer:innen wissen müssen, Freiburg.

· Schröter, J. 20182 , Jesus, in: Zimmermann, R./Zimmermann, M. (Hg.), Handbuch Bibeldidaktik, Tübingen, 362–374. (Ein v. a. bibeltheologisch fokussierter und religionsdidaktisch orientierter Überblick zu Jesus Christus.)

· Solymár, M. 2019, Jesus Christus, in: Rothgangel, M./Simojoki, H./ Körtner, U. H. J. (Hg.), Theologische Schlüsselbegriffe. Subjektorientiert – biblisch – systematisch – didaktisch (= Theologische Schlüsselbegriffe 1), Göttingen, 230–242. (Eine sehr empfehlenswerte religionspädagogische Annäherung an Jesus Christus.)

· Steinhäuser, M. (Hg.) 20182 , Gott im Spiel – Jesusgeschichten. Godly Play weiterentwickelt, Stuttgart.

· Tomberg, M. 2009, Begegnung mit Jesus. Religionspädagogische Herausforderung des Christusglaubens, in: Ders. u. a., Jesus begegnen. Zugänge zur Christologie, Freiburg, 177–215.

· Wenzel, K. 2019, Narrative Theologie revisited, in: Lebendige Seelsorge 70, 6, 400–406.

· Wüstner, E. 2015, Christologische Vorstellungen, in: Faix, T. u. a. (Hg.), Theologien von Jugendlichen. Empirische Erkundungen zu theologisch relevanten Konstruktionen Jugendlicher, Berlin, 87–104. · Ziegler, T. 2006, Jesus als „unnahbarer Übermensch“ oder „bester Freund“? Elementare Zugänge Jugendlicher zur Christologie als Herausforderung für die Religionspädagogik und Theologie, Neukirchen-Vluyn.

· Zimmermann, M./Sohns, R./Theißen, G. 2012, Der Schatten des Galiläers. Zur Arbeit mit einer Ganzschrift im Religionsunterricht (= Religion betrifft uns 2/2012).

· „Jesus Christus“ a (= entwurf 2/2010).

· „Jesus Christus“ b (= Loccumer Pelikan 2/2014).

· „Über Jesus im Bilde“ (= in Religion 6/2015).

· „The Chosen“ (https://www.the-chosen.net/ 28.07.2022).

 

 

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