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Hab nur Mut! (Mk 10,49)

Diese Woche bei „6 Wochen Be-Geist-erung“: Erlebnisorientierte Vertrauensübungen zur Bartimäus-Geschichte. Von Matthias Och.

Kennen Sie noch von Ihrer eigenen Kindheit und Jugend “Mutproben”? Über den Bach springen, auf den Baum klettern oder doch einen Mitschüler/ eine Mitschülerin küssen? Von Schülern habe ich das so in letzter Zeit in dieser klassischen Art und Weise eher selten gehört. Da geht es kaum mehr darum, Mitglied in einer Bande zu werden. Und doch werden hier Tiktok-Videos als Challenges in gravierendem Maße imitiert mit zum Teil schwerwiegenden Folgen. Sich selbst richtig einzuschätzen, mit Gefahren richtig umzugehen, ja und schließlich auch Selbstvertrauen auszubilden bzw. anderen vertrauen zu können, will gelernt sein.

Mit dem Bilderbuch “Nur Mut” kam ich mit Schülern im Philosophieren schon öfter darauf, dass es gerade auch Mut kostet, etwas nicht oder anders zu tun als andere. In erlebnispädagogischen Übungen kann man bei Beobachtungsaufträgen für Schüler oder auch selbst als Lehrkraft in besonderer Weise darauf das Augenmerk legen, welche kreativen Lösungsvorschläge in der Gruppe zwar genannt, aber nicht durchgeführt werden. Hier kann man einmal genau mit den Schülern darauf schauen, woran dies liegen könnte, dass sich nicht immer die besten Ideen durchsetzen (z. B. weil derjenige, der es vorgeschlagen hat, nicht so anerkannt ist, weil der Vorschlag einfach nicht gehört wurde oder weil andere sich vorgedrängt haben). “Hab nur Mut deinen Vorschlag auch laut zu äußern!”, könnte man hier einen Teil seiner Schülerschaft mitgeben und anderen wiederum: “Hab Mut, auch einmal andere im Mittelpunkt stehen zu lassen, deswegen bist du nicht weniger geschätzt!”

Hier werden vier erlebnisorientierte Übungen zur Bibelstelle des blinden Bartimäus vorgestellt, um einzelne Aspekte dieser erfahrbar zu machen. Dabei ist zu beachten, dass die Übungen nicht in einer Unterrichtseinheit durchgeführt werden sollten. Für jeden der einzelnen Aspekte benötigt man mit Auswertung und Übertragung etwa 20-30 Minuten.

Der Bibeltext Mk 10,46-52 sollte zuvor einmal mit den Schülern gelesen worden sein. Vor jeder Übungseinheit wird dann der entsprechende Abschnitt erneut gelesen.

„Sie kamen nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß an der Straße ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus.“ Mk 10, 46

Bild: Matthias Och

Zu diesem Abschnitt sollen die Schüler in der Übung jeweils mit einem vertrauten Partner zusammengehen und einen bekannten (d.h. mit den Schülern zuvor abgegangenen) Hindernisparcours gemeinsam durchlaufen. Dabei soll nacheinander jeweils einer „Bartimäus“ sein und blind die bekannte Strecke bewältigen. Der Partner kann hier in unterschiedlicher Art und Weise Hilfestellung leisten. Steigernd kann hier der sehende Partner vorausgehen mit dem Blinden, der sich an seiner Schulter festhält, anschließend der Partner, der nichts sieht, vorausgehen und der Sehende führt ihn an der Schulter, bis hin zum Navigieren ohne Berührung.  Der sehende Partner kann zuletzt mit der Anweisung, dass sprachliche Kommunikation nicht mehr erlaubt ist, wie ein „Blindenhund“ den Partner durch Laute o.ä. führen und vor Hindernissen warnen, und der Blinde muss sich zuvor die Wegstrecke gut einprägen. (Ausnahmen müssen selbstverständlich Sicherheitsaspekte sein!) Unterschiedlicher Bodenbelag, Stufen mit Geländer und längere Strecken geradeaus stellen dabei schon relativ große Herausforderungen dar. Zur Steigerung können auch das Übersteigen von Hindernissen, welche man nicht berühren soll, als Option bereitstehen. Bei allen Hindernissen muss unbedingt die Sicherheit durch den Lehrer gewährleistet sein.

„Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele wurden ärgerlich und befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ Mk 10,47f

Um das Hineinversetzen in die Lage eines Verzweifelten zu ermöglichen, der ein Ziel vor Augen hat und dafür auch die Hindernisse und herablassenden Worte der Menschen um ihn herum durchbricht, ist die Übung „Vertrauenslauf“ geeignet. Hierbei stellen sich Teilnehmer in zwei Reihen mit den Gesichtern zueinander auf und bilden eine schmale Gasse. Sie strecken die Arme nach vorne aus, sodass die Gasse durch Arme versperrt wird. Einer der Gruppe darf sich nun wie Bartimäus vor diese Gasse stellen und sieht sich einer Menschenmenge gegenüber, die ihm „Schweig“ zuruft. Er hat aber Vertrauen und durchbricht seine Hürden. In der Übung soll nun der Teilnehmer vor der Gruppe (Bartimäus) mit einem deutlichen Startsignal („3…2…1…“) in hohem Tempo auf die Gasse zulaufen. Es muss darauf geachtet werden, dass die gesamte Gruppe konzentriert auf den Start der Person achtet, den Heranlaufenden anschaut und rechtzeitig die Arme nach oben, wie bei einer „La-Ola-Welle“, nacheinander anhebt. „Bartimäus“ läuft damit durch die Reihe, ohne die Hände der Gruppe zu berühren. Die Übung kostet viele Überwindung, deshalb muss hier unbedingt auf eine reibungslose Durchführung und Aufmerksamkeit aller Beteiligten geachtet werden. Den Ersten in der Gasse sollte der Lehrer selbst bilden, damit er steuern kann, dass die „La-Ola“ im richtigen Moment beginnt. Uhren etc. sollten unbedingt abgelegt werden! Wenn man die Übung mehrfach durchführt, muss um so mehr auf den anhaltenden Sichtkontakt zum Läufer und den Kommandos für den Start wert gelegt werden. Die Freiwilligkeit bei der Durchführung sollte hier dringend oberstes Gebot sein.
Alternativ können im Sinne einer Aktualisierung eigene Ziele für die nächste Zeit überlegt und auf grünen Kärtchen notiert werden und auf roten Karten, was einem daran hindern könnte. Diese Kärtchen werden dann durch den Zielpunkt und die Händemauer symbolisiert.

„Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu.“ Mk 10, 49f

Eine Übung, die wieder das „Blindsein“ als außergewöhnliche Situation nutzt, habe ich für diese Szene ausgesucht. Einer mit verbundenen Augen soll hierbei „aufspringen“ und schnell durch eine Menschenmenge hindurch zu Jesus, den in diesem Fall eine Vertrauensperson aus der Klasse symbolisch spielen kann, gelangen. Die Menschenmenge soll ihm dabei Mut zusprechen. Wie die Klasse diese Übung bewältigt, wird der Gruppe selbst überlassen. In mehreren Durchgängen kann hierbei auch Unterschiedliches ausprobiert werden. Das Erreichen des Ziels, „schnell“ den Blinden durch die Menge hindurch zu helfen, ohne über das Ziel hinauszuschießen, kann durch verschiedene Methoden erreicht werden. Die Gruppe kann ihre erprobte Methode bei weiteren Durchgängen perfektionieren und auch mit erschwerten Bedingungen (z.B. ohne Anfassen) das Ziel erreichen. Möglichkeiten wären z.B. den Blinden zu führen oder gar zu tragen, ihn durch Zurufe „Nur Mut“ durch die Gruppe zu geleiten und durch Ruhe das Ankommen zu signalisieren. Am Ziel könnte man dem Blinden auch gut die Augenbinde abnehmen und ihm die Frage Jesu “Was soll ich dir tun?” oder “Wo soll ich dir helfen?” als große Wortkarte zeigen. Dann kann sich dieser selbst überlegen, was er persönlich Jesus darauf antworten könnte und dies für sich notieren. So wird die Bibelstelle gleichzeitig auf uns ins Heute übertragen.

„Und Jesus fragte ihn: Was soll ich dir tun? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können. Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg.“ Mk 10, 51f

Als Abschlussübung für den „ersten Lichtblick“ von Bartimäus könnte ich mir gut die Übung „lebendige Kamera“ vorstellen, bei der in Partnerarbeit ein Schüler den anderen blinden Schüler zu einem von ihm als „schön“ empfundenen Ort führt. Wie eine Fotokamera darf der sehende Schüler dann den Kopf des Blinden so einstellen, dass er beim Augenöffnen auch das Objekt sieht, welches er ausgesucht hat. Dann gibt er ihm ein vereinbartes Zeichen zum Augenöffnen und wieder eines zum Schließen der Augen (Einstellung der Belichtungszeit). Dies kann auch länger oder kürzer gewählt werden. Schließlich wird er wieder blind zum Ausgangsort zurückgeführt, damit der „Lichtblick“ auch gespeichert werden kann und anschließend kann sich das Ganze umgekehrt wiederholen.

“Nur Mut” beim Ausprobieren!

Bild: RP+/Dall.E

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