Ihr seid willkommen! – Als Mensch gefragt
Religionslehrerin Tanja Simon von der Mittelschule Marktheidenfeld berichtet, was die Integration von Flüchtlingen und Deutschunterricht mit Religionsunterricht und Schulpastoral zu tun haben.
„Wir schaffen das!“ So lautete im Sommer 2015 der berühmte Ausspruch von unserer Bundeskanzlerin, als sich eine große Zahl von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und nordafrikanischen Ländern zu uns durchgeschlagen hatte. Inzwischen sind diese Menschen zu ehemaligen Flüchtlingen geworden, viele haben sich integriert und haben bei uns ein neues Zuhause gefunden. Dieses „Wir schaffen das!“ hatte sich damals auch die Mittelschule Marktheidenfeld auf die Fahnen geschrieben. Ja, wir haben es geschafft: Die soziale, sprachliche und berufliche Integration von über 50 ehemaligen Flüchtlingskindern, zum großen Teil aus Afghanistan und Syrien, aber auch aus dem Iran, dem Irak, Äthiopien und anderen Krisenregionen der Erde ist gelungen. „Meine“ ersten Flüchtlingskinder Lea, Navid und Mryam von damals haben inzwischen viele Freunde gefunden, sprechen fließend Deutsch, haben ihren Mittelschulabschluss gemacht und sind erfolgreich ins Berufsleben eingestiegen: als Friseurin, KFZ- Mechatroniker und Verwaltungsfachkraft. Sie sind angekommen in ihrer neuen Heimat.
Seitdem geht diese Integrationsarbeit an unserer Mittelschule unvermindert weiter: Kontinuierlich treffen immer wieder neue ausländische Kinder, vermehrt aus Rumänien, dem Kosovo, Türkei, Kasachstan, Syrien und anderen osteuropäischen Ländern an ein. So ist der DAZ Unterricht (Deutsch als Zweitsprache) seit dem Sommer 2015 fester Bestandteil des Schulalltags und ein wichtiger Schlüssel zur sprachlichen und damit auch sozialen Integration geworden.
Warum betreibt unsere Schule, wie viele andere Schulen auch, so einen finanziellen und personellen Aufwand? Diese Frage beantwortet sich jedem ganz von selbst, der seinen Kopf in ein Klassenzimmer steckt, in dem gerade eine DAZ-Gruppe Deutsch lernt: In einem Sprachenmix aus Deutsch, Englisch, Rumänisch, Persisch oder anderen osteuropäischen Sprachen wird hier viel gelacht, gelernt und so mit viel Herz dieses „Willkommen in Deutschland“ praktiziert.
Seit dem Angriff auf die Ukraine hat diese „Willkommenskultur“ und die Integration von Flüchtlingskindern eine ganz neue Brisanz bekommen. Und wieder strömen geflüchtete Familien mit ihren Kindern nach Deutschland, kommen in Notunterkünften in Marktheidenfeld an und werden zum großen Teil auch SchülerInnen an unserer Schule. Alle – ob Sekretärin, Schulleitung, LehrerInnen, SchülerInnen – bemühen sich intensiv, dass sich alle ukrainischen Kinder willkommen, aufgenommen und angenommen fühlen. Alle arbeiten mit viel Herz daran mit, dass etwas Alltag in das Leben dieser Kinder einkehrt, ein Stück Normalität nach dem Horror und Terror, der hinter ihnen liegt.
„Willkommen in Deutschland“ heißt auch ein Kindersprachkurs, den ich seit Jahren erfolgreich in meinen DAZ-Stunden im Bereich der Ganztagesschule einsetze, um mit „meinen“ ausländischen Kindern immer besser Deutsch zu lernen.
Aber was haben Sprachkurse mit mir als Religionslehrerin zu tun? Integration gelingt, wenn Sprache und Werte in kleinen Schritten vermittelt werden, darin sind sich die Autoren dieser neuen DAZ-Unterrichtswerke einig. Und beim Thema Wertevermittlung sind wir Religionslehrer doch das richtige Fachpersonal. Das heißt nicht, dass ich Arien, Hamsala, Muhammad, Sergiu, Rostyslav, Danilo, Hannan, Bahri und all den anderen ihre religiöse Identität nehmen oder sie missionieren will, ganz im Gegenteil: „Du bist willkommen!“, „Du hast einen Platz bei uns!“ „Hier bist du sicher!“ sind vielmehr christliche Werte, die nicht auf die Christengemeinschaft beschränkt bleiben, sondern als menschliche Grundbedürfnisse, als Menschenrechte für jeden erfahrbar sein sollen.
So lernen wir gemeinsam, ob man „der“, „die“ oder „das Waschbecken“ sagt, wie man das schreibt und was dieses Wort in Rumänisch, Ukrainisch, Persisch oder Arabisch heißt. Miteinander stöhnen wir über die Tücken der deutschen Sprache mit ihren Artikeln, die sich noch ständig verändern, den verschiedenen Verbformen und unzähligen Ausnahmen. Wir reden aber auch darüber, was jahrelange Flucht durch Irak, die Türkei bis nach Deutschland bedeutet, was es heißt, Hals über Kopf aus dem Krieg zu fliehen, oder aus anderen Gründen in einem fremden Land mit einer komplizierten Sprache neu anfangen zu müssen. Wir hören zu, welche Hoffnungen die Brüder Hannan und Bahri in ihr neues Leben in Deutschland setzen, wie die ukrainischen Neuankömmlinge die Sorge um die zurückgebliebenen Väter und Verwandten belastet, wie die Grauen des Krieges alles überschatten und was ihre Träume vom Leben sind. Lachen, lernen und manchmal auch nur zuhören und trösten, alles gehört in meinen DAZ-Stunden dazu.
Und da bin ich als Lehrerin, als Religionslehrerin und nicht zuletzt als Mensch gefragt, dieses „Willkommen“ mit viel Herz zu realisieren, Integration zu ermöglichen und Träume von einer besseren Zukunft lebendig werden zu lassen.
„Frau Simon, wir haben Deutsch, ja?“ Ja, wir haben Deutsch zusammen und ich mache es von Herzen gerne. Tja, und manchmal machen wir auch ganz praktische Dinge, wie ein Hochbeet bauen oder Kartoffeln im Schulgarten pflanzen. Da heißt es dann: „learning by doing“. Oder, wie Hannan (rechts im Bild) fragte: „Frau Simon, was das?“ und mir lächelnd einen Regenwurm zeigte. Schon wieder ein neues Wort gelernt!