„Alles ist möglich für den, der glaubt.“ (Mk 9,23) – Erlebnispädagogik und Religionsunterricht.
Unsere Reihe Praxisplus steht dieses Jahr unter dem Motto „6 Wochen Be-Geist-erung“ – mit vielen Informationen und Unterrichtsideen zum Thema „Erlebnispädagogik“ im Religionsunterricht. Von Matthias Och.
„Ich kann des net! Ich schaff das nich!“ Kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor? Als Lehrer hört man diese wohl genauso oft, wie als Eltern. Wie gerne möchte man da den alten Werbespruch entgegnen: „Nichts ist unmöglich!“ oder noch besser das oben genannte Bibelzitat: „Alles ist möglich, für den, der glaubt!“ Eltern, die ihren Kindern jedes Hindernis aus dem Weg räumen und die Schultasche bis ins Klassenzimmer tragen sind dabei genauso wenig förderlich, wie Regeln, die aufgrund der überzogenen Sicherheitsvorstellung, die Freiheit von Kindern immer mehr einschränken. Vielleicht brauchen Kinder und Jugendliche gerade deshalb heute noch mehr Ermutigung, vielleicht auch etwas, was man ihnen zumutet, um mit Mut Herausforderungen anzugehen und Resilienz einzuüben. Dies wird in der Erlebnispädagogik trotz der Einhaltung von Sicherheit für Kinder und Jugendliche versucht zu ermöglichen.
Mein Hobby istdas Felsklettern und Bouldern und trotzdem hatte ich schon immer Angst vor der Höhe. Bei jedem Turm oder Berg, bei dem ich senkrecht in die Tiefe blicke, bekomme ich schnell ein flaues Gefühl. Aber ich habe beim Klettern gelernt, dem Material, meinem Seil, den Karabinern und meinem Kletterpartner zu vertrauen. Die Höhe an einer Felswand in der fränkischen Schweiz oder auf einem Hochseilgarten machen mir nun kaum mehr etwas aus. Ich habe meine Komfortzone erweitert.
Das Komfortzonenmodell ist eine bekannte Darstellung in der Erlebnispädagogik. Die Komfortzone ist dabei unser Alltagsbereich und das Hinaustreten in eine Lernzone das angestrebte Ziel. Es ist ungewohnt sich aus der bekannten Komfortzone zu treten und kostet häufig auch Überwindung. In der Komfortzone sind wir in unserer Wohlfühlumgebung und wissen, wie wir die Dinge angehen und es Tag für Tag auch so tun. Die ausgetretenen Pfade sind jedoch nicht immer die bestmöglichsten zur Erreichung eines Ziels. Deshalb lohnt es sich einmal in ungewohnter Umgebung (der Lernzone) Neuland zu betreten und neue Wege der Problemlösung anzugehen. Der Schritt in die Lernzone fällt hierbei oft schwer und ist mit Widerstand verbunden. Bei Schülerkommentaren in kooperativen Spielen, wie: „Das ist ja eine blöde Aufgabe, da hab ich keine Lust drauf!“ oder auch „Das traue ich mich nicht!“ ist dies manchmal ablesbar. Auch in der Eigenwahrnehmung kann man diesen Schritt bei sich entdecken, wenn einem das „Was mach ich hier eigentlich? Ich bin bescheuert, dass ich das tue!“ in den Sinn kommt, wenn man z.B. am Hochseilgarten unterwegs ist. Hier ist es die Aufgabe des Leiters in der Erlebnispädagogik, die Schüler bei diesem Schritt zu begleiten, ohne sie zu drängen, denn Freiwilligkeit soll neben der Sicherheit oberstes Gebot bleiben. Manchmal hilft es schon den Schüler zu fragen, was er denn braucht, dass er sich noch etwas mehr in der Übung zutrauen könnte und Mitschüler können ihm dann dabei helfen oder die Üb
ung kann etwas variiert werden. Jeder muss sich selbst mit seinen eigenen Grenzen, die natürlich auch an unterschiedlichen Stellen liegen, auseinandersetzen. „Challenge by choice“ („Die Herausforderung wählt der Teilnehmer selbst!“) ist hier das Leitwort, welches auch vom Lehrer akzeptiert werden sollte. Denn ansonsten ist die Gefahr sehr hoch, dass der Teilnehmer in die sogenannte Panikzone gerät, in der Lernen nicht mehr möglich ist. Das neu Erlernte in der Lernzone kann dann auch mit zurück in den Alltag genommen werden und auch dort zu alternativen Lösungsstrategien führen. Die Komfortzone weitet sich aus und eigenes Handeln im Alltag wird reflektiert. Gegebenheiten in der Panikzone sind jedoch so fremd, dass sie mit dem Alltag nichts zu tun haben und so auch nicht übertragen werden können.
Grafik leicht verändert nach Senniger, Tom: Abenteuer leiten – in Abenteuern lernen: Methodenset zur Planung und Leitung kooperativer Lerngemeinschaften für Training und Teamentwicklung in Schule, Jugendarbeit und Betrieb; Ökotopia Verlag; Münster: 2000, S.26
Es gilt also außergewöhnliche und praktische Lernumgebungen zu ermöglichen, um auch im Alltag Verhaltensweisen, Denkweisen und Werte verändern zu können. Solche Orte im Unterricht zu schaffen ist nicht einfach, aber kann durch ganz unterschiedliche Art und Weise geschehen. Erlebnispädagogik heißt eben nicht nur „Free Climbing“ und „Canyoning“, sondern z. B. auch Kooperationsaufgaben. Dabei ist das Außergewöhnliche einfach die Art der Aufgabe bzw. die alleinige Bewältigung einer Übung durch die ganze Gruppe, die Kreativität entwickeln muss. Die Lehrkraft versucht sich bei der Lösung der Aufgaben so wenig wie möglich einzumischen, so dass die Schüler frei agieren können. Bei Sicherheitsaspekten muss natürlich interveniert werden. Auch Unterbrechungen, die vom Lehrer in Besprechungsphasen moderiert und Beobachtungsrückmeldung, die gegeben werden können, sind sinnvoll. Hierbei ist entscheidend, dass diese Challenges prozessorientiert sind und auch aus Schwierigkeiten heraus durch eine anschließende Meta-Interaktion ein nachhaltiges Ergebnis erzielt werden kann. So kann aus einem Ereignis, durch emotionale Wahrnehmung ein Erlebnis, durch Ich-Betroffenheit eine Erinnerung und schließlich durch die Reflexion und Deutung in der Erzählung, eine Erfahrung werden. Deshalb sollte unbedingt bei jeder Kooperations- bzw. Erlebnispädagogischen Übung genug Zeit für die Reflexion und Übertragungsmöglichkeiten gelassen werden. „Eindruck braucht auch hier Ausdruck“ und kann dann auch mit Themen aus der Sequenz im RU verknüpft werden.
„Alles ist möglich, dem der glaubt oder dem der vertraut!“ Glaube hat mit Vertrauen zu tun und Gottvertrauen ist nur mit Selbstvertrauen und Vertrauen auf andere denkbar. In erlebnispädagogischen Übungen kann dies angebahnt, erspürt und reflektiert werden, anstatt nur im Klassenzimmer darüber zu reden. Das weite Feld zwischen übersteigertem Selbstvertrauen und fehlendem Urvertrauen, das in beiden Extremen auftaucht, ist auch bei vielen unserer Schüler spürbar. Hier lohnt es sich gerade im Nachgang von erlebnisorientierten Spielen dies genauer zu reflektieren, Rollen in der Gruppe sichtbar zu machen und Gefühle von Frust bis Erfolg introspektiv anzuschauen. Schließlich kann das Erlebnis nicht nur im Nachhinein reflektiert und auf religiöse Werte bezogen werden, sondern auch symboldidaktisch als Handlungssymbol für Erfahrungen im Religionsunterricht stehen oder auch direkt metaphorisch auf Bibelstellen und den Erfahrungen der Protagonisten dort parallel gesetzt werden. Außergewöhnlichere erlebnispädagogische Übungen und Erfahrungen sind freilich auch bei Teamtagen, Tagen der Orientierung, Schullandheimaufenthalten oder Schülerfreizeiten gut intergrierbar und dann mit dem Unterricht vernetzbar.
Zum Schluss soll wenigstens auch in diesem ersten Teil noch ein kleines Beispiel genannt sein, welches als Vertrauensübung im Unterricht leicht einsetzbar ist. Jeweils zwei Schüler stellen sich hierbei Rücken an Rücken auf und testen, wie sie sich durch Anlehnen am Rücken Stabilität geben können. Jetzt können diese probieren, ohne ihre Hände zu benutzen sich Richtung Boden in die Hocke bewegen und wieder aufzustehen. Wie verändert sich die Situation, wenn die Füße der Partner weiter auseinander stehen? Das Maximalziel wäre das Hinsetzen und wieder Aufstehen ohne Hände vom Boden. Durch folgende Impulse kann eine mögliche Reflexion eingeleitet werden: „Wie leicht/ schwer fiel es mir den Partner zu stützen? Wie leicht/ schwer war es für mich, mein Gewicht auf den anderen zu stützen? Wann ist es uns als Team leichter gelungen mehr zu erreichen? Geht es mir manchmal in anderen Situationen in der Schule oder zuhause auch so ähnlich, wie in dieser Übung gerade?“ Als Steigerung kann auch eine Dreier- oder Vierergruppe dieses Unterfangen gemeinsam im Kreis Rücken an Rücken ausprobieren. Die Lehrkraft schaut auf mögliche Sicherheitsrisiken, achtet auf Rücksichtnahme und motiviert zum vertieften Ausprobieren ohne Schüler dazu zu drängen (z. B. Gegenstände in der Nähe, auf die man fallen könnte, passende Absprache der Partner). Viel Spaß beim Ausprobieren!
Weiterführende Links:
- Kurze Zusammenfassung RU und Erlebnispädagogik von F. Brustkern
- RU und Erlebnispädagogik an Berufliche Schulen – zum vertiefterem Nachlesen der Theorie
- Theorie und Praxisbezug: Glauben lernen in der Erlebnispädagogik von T. Eppinger
- RU (evangelisch) und Erlebnispädagogik mit Praxisbeispielen
- Sammlung von Kooperationsübungen für die Schule
- Weitere Übungen, gut in der Schule umsetzbar.