Zuhören, mittragen, annehmen
Die Diözesanstelle „Krisenseelsorge im Schulbereich“ (KiS) unterstützt Schulen bei Todesfällen und in Krisensituationen. Von Anja Legge
„Es kann nicht sein, es darf nicht sein!“ Solche Gedanken schießen einem unweigerlich durch den Kopf, wenn ein Kind an einer unheilbaren Krankheit stirbt oder von einem Auto überfahren wird, wenn ein Jugendlicher sich das Leben nimmt oder andere Menschen mit einer Waffe bedroht. Und doch ereignen sich solche Todesfälle immer wieder an unseren Schulen.
Die Folgen derartiger Krisenfälle sind weitreichend. Zahlreiche Menschen in der Schulfamilie werden mit traumatischen Erlebnissen und schrecklichen Bildern konfrontiert, viele können kaum einordnen, was geschehen ist, werden von Trauer und Angst überrollt. „Damit möglichst alle Betroffenen emotional aufgefangen werden und unbeschadet aus der Krisensituation herauskommen, sollten Schulleitungen und Lehrkräfte vorbereitet sein und überlegt agieren“, sagt Giuseppe Concialdi, seit 2021 Diözesanbeauftragter für die „Krisenseelsorge im Schulbereich“ (KiS) im Bistum Würzburg.
Nach dem Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt im Jahr 2002 gehörte das Bistum Würzburg zu den ersten, die sich Gedanken darüber gemacht haben, was im Fall der Fälle zu tun ist und wie man Schulen unterstützen kann, an denen eine akute Notfallsituation auftritt. Allein psychologisches Wissen befähige noch nicht zu einer guten Reaktion, so Concialdi, der selbst als psychologischer Berater tätig ist. Vielmehr brauche es „ein Handwerkszeug, das gezielt auf das Thema Trauma geschärft ist“ sowie ein erfahrenes Einsatzteam, das zu Notfällen dazu gerufen werden kann. Beides bietet KiS im Würzburger Kilianeum seit etwa 20 Jahren.
Das Einsatzteam besteht aktuell aus etwa 15 Lehrkräften, die an unterschiedlichen Schulen im Bistum tätig sind. Hinzu kommt Mitarbeitende von KIBBS (Kriseninterventions- und -bewältigungsteam bayerischer Schulpsychologinnen und Schulpsychologen) und NOSIS (Notfallseelsorge in Schulen) der evangelischen Kirche. Mit beiden Netzwerken praktiziert KiS eine bayernweit einzigartige Kooperation, für die Concialdi sehr dankbar ist.
Sobald über das Krisenhandy ein Notfall einläuft, informiere man sich zunächst gegenseitig, berichtet der erfahrene Krisenseelsorger. Vor Ort geht es dann zuerst um die Frage des Betroffenenkreises; erfahrungsgemäß sind das nicht nur Klassenkameradinnen und Kameraden, sondern auch Lehrkräfte, Freunde, Geschwisterschüler und die Schulverwaltung. „Da stehen ganz schnell 50 bis 60 Namen auf der Liste“, so Concialdi und listet auch Menschen auf, bei denen der Krisenfall ein altes Erlebnis wieder aufreißt.
Wie es dann weiter geht, ist dagegen völlig offen, denn: „Jede Krise ist anders“, benennt Concialdi das Herausfordernde an seiner Arbeit. Egal ob es um Suizid, Unfall oder Krankheit geht, wichtig sei stets die Vermittlung einer bestimmten Haltung. Reaktionen wie „Das ist eine Katastrophe“ oder „Ich kann das nicht ertragen“ seien zwar nachvollziehbar, aber nicht hilfreich. Stattdessen versuche er eine Haltung des Annehmens zu transportieren. Konkret: „Zuhören, mittragen, aber auch ent-katastrophisieren und zulassen.“ Dies sorge im ersten Moment für Abwehr, erleichtere aber den Umgang mit dem Erlebten. „Je eher Betroffene sagen können ‚Es ist schlimm, aber ich werde einen Weg finden, damit umzugehen‘, desto eher gelangen sie wieder ins Gleichgewicht“, so Concialdi.
Dinge wie diese vermitteln die KiS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter auch auf Schulungen für schulinterne Krisenteams. Dabei spielen die Lehrkräfte konkrete Situationen durch, sie lernen aus den Erfahrungen der Fachleute und erhalten praktische Anregungen wie etwa das Anlegen eines Notfallkoffers, der mit einem Bilderrahmen, einem Trauerbuch, Kerzen, einer Blumenvase, Gebetsanregungen und kreativen Hilfsmitteln bestückt ist. Vorbereitet sein sollten Lehrkräfte auch auf mögliche Erstreaktionen. Denn die können von Sprachlosigkeit über Lachen bis hin zu Weinkrämpfen reichen. Hier gilt: „Es gibt kein richtig oder falsch. Alles darf sein.“
Neben diesen Kurz-Schulungen bietet die KiS-Diözesanstelle seit 2005 einmal im Jahr die Fortbildung „Krisenseelsorge in der Schule – mit Tod und Trauer umgehen“ an. Angesprochen sind Religionslehrkräfte ebenso wie Schulleitungen, Beratungslehrer und alle, die für Krisensituationen gewappnet sein wollen. Rund 450 Lehrkräfte haben die Fortbildung bereits durchlaufen, heuer findet der Kurs zum 20. Mal statt. An den drei Kurstagen können die Teilnehmenden das Verhalten in Krisen trainieren. Inhaltlich stehen neben konkreten Beispielen auch die Auseinandersetzung mit eigenen Trauererfahrungen, Trauertheorien, Hinweise auf Unterstützungs-Systeme sowie spirituelle Elemente und Rituale auf dem Programm. Lehrkräfte, die die Fortbildung bereits absolviert haben, können ihre Kenntnisse bei einem jährlichen Tag der Vertiefung auffrischen.
Er selbst fühle sich nach einem Einsatztag an einer Schule manchmal „wie nach einem Marathon“, gibt Giuseppe Concialdi zu. Und weil manche Situationen auch das Einsatzteam an seine Grenzen führen, gibt es individuelle Supervisionsangebote für alle Mitarbeitenden – „damit wir auch beim nächsten Einsatz wieder mit ganzem Herzen da sein können.“
Das Krisenhandy mit der Telefonnummer 0931 / 386 308-53 ist immer erreichbar.
Der nächste Kurs „Krisenseelsorge in der Schule (KiS) – mit Tod und Trauer umgehen“ findet vom 23. Oktober bis, 25. Oktober 2024 im Gästehaus Münsterschwarzach statt. Mit der Teilnahme erwerben die Lehrkräfte Kompetenzen zur Mitarbeit in einem schulischen Krisenteam. Die Zahl der Teilnehmenden ist auf 25 begrenzt, Anmeldung über FIBS, Anmeldeschluss ist der 7. Oktober 2024.