Mehr Weihnachten wagen!
Der Gegenstandsbereich „Jesus Christus“. Von Johannes Pfeiff.
Der Gegenstandsbereich Jesus Christus im Reliunterricht? Da muss ich sofort an den Scherz denken, demzufolge “Jesus” die Standard-Antwort auf alle Fragen des Reli-Lehrers sei. Mit dieser Antwort läge man immer schon irgendwie richtig, auch wenn man sonst völlig blank ist. Diese wenig schmeichelhafte Karikatur des Reliunterrichts mag einen wahren Kern enthalten. Zunächst liegt hier ein Reflex eines allzu katechetisch empfundenen Unterrichtsgeschehens vor, dem die Gestaltung des LehrplanPlus zusätzlichen Vorschub leistet. Jesus Christus ist dort offenbar nur ein Thema für die Unter- und Mittelstufe – prominent vertreten, oftmals in jedem Schuljahr wiederkehrend (was zuweilen auf Unverständnis der Schüler*innen stößt, wenn nicht erkennbar wird, worin das eigentlich Neue besteht, das ein wiederholtes Aufgreifen des Themas lohnend macht). In der gymnasialen Oberstufe und den Beruflichen Schulen ist Jesus Christus dagegen nur sehr indirekt Gegenstand des Unterrichtsgeschehens, etwa bei dogmatischen Fragestellungen zur Trinität. Grundsätzlich werden die Unterrichtsinhalte im Fach Katholische Religionslehre bei älteren Schüler*innen existenzieller, ethischer und gesellschaftsbezogener. What would Jesus do? könnte dort im Unterricht gefragt werden, der Lehrplan fordert es gleichwohl nicht sehr engagiert.
Ist Jesus – etwa neben St. Martin und dem Nikolaus – also eher ein Thema für junge Schüler*innen, deren kritischer Geist noch im Erwachen ist? Jedenfalls scheint er weit entfernt von der Lebenswelt der Schüler*innen. Überlagert von den Schichten fast zweitausend Jahre langer Überhöhung und (moralinsaurer, vielleicht auch missbräuchlicher) Überzeichnung steht er den Marvel-Superhelden in all ihrer fiktionalen Übermacht viel näher als einer echten Identifikationsfigur. Jesus ist offenbar keiner von uns.
An dieser Stelle lässt sich deshalb noch eine tiefer liegende Schicht der Kritik im eingangs zitierten Scherz erahnen. Denn dem Kern unserer Glaubensüberzeugung, der sich in Christus kristallisiert, ist didaktisch oft nur mittelbar nahezukommen. Er entzieht sich gewissermaßen ins schablonenhafte Bild des Überhelden, des Welterlösers, des Supermenschen.
Auf die Kalamität dieser religionsdidaktischen Aufgabe antwortet das Fachprofil der Katholischen Religionslehre im LehrplanPlus. Fast schon trotzig wird dort das oben entworfene Bild der Beschäftigung mit Jesus im Unterricht konterkariert, wenn zum Gegenstandsbereich Jesus Christus formuliert wird: “Der Religionsunterricht befähigt die Schülerinnen und Schüler, sich der Frohbotschaft über Leben, Tod und AuferstehungJesu Christi zu öffnen und diese auf ihr eigenes Leben zu beziehen.” Noch kompetenzorientierter wäre das Ziel des Lehrplans kaum zu fassen. Im Gegenteil wird hier konsequent die Persönlichkeit der Schüler*innen in den Blick genommen, die zu Offenheit und individueller Relationalität befähigt werden sollen. Hier ist keine Schablone, kein Übermensch, hier geht es allein um die Schüler*innen. Jesus ist – aus Sicht des Lehrplans – eben doch einer von uns.
Reproduktives Unterrichtsgeschehen deutet sich hier höchstens noch in der Qualifizierung des Christusgeschehens als “Frohbotschaft” und den Eckpunkten seiner (religiös gedeuteten) Biographie im Dreiklang von “Leben, Tod und Auferstehung” an. Und darin findet sich vielleicht ein Hinweis, warum der Scherz von der Standard-Antwort “Jesus” immer noch funktioniert. Denn in der Zusammenschau von “Leben, Tod und Auferstehung” wird der historisch-kritisch gesicherte Rahmen der Leben-Jesu-Forschung überschritten und die Perspektive des Unterrichts auf das Glaubensobjekt Jesus Christus geweitet, dessen Fokus zu einer unglücklichen Einseitigkeit neigt: Es ist das Ostergeschehen, also die Auferstehung, die Erlösung von den Sünden und mithin unsere Rechtfertigung, die augenscheinlich die Perspektive des Lehrplans auf das Christusereignis bestimmen. Diese augustinisch
geprägte Gnadentheologie erfährt im ökumenischen Dialog eine fruchtbare Ergänzung aus dem Reichtum ostkirchlicher Spiritualität, die die Menschwerdung Gottes ins Zentrum ihrer theologischen Heilsdynamik stellt und so schablonenhaften Überzeichnungen des Erlösers entgegenwirkt: wenn neben Ostern auch das Geheimnis von Weihnachten zur Sprache kommt, öffnen sich theologische und persönliche Perspektiven auf die Gnade des Annehmens, der Verwandlung und des spirituellen Wachstums. Denn Gott ist wirklich einer von uns geworden. In der thematisch vernachlässigten Menschwerdung Gottes entfaltet sich deshalb die Relevanz der Christologie und des gesamten Religionsunterrichts, der die Schüler*innen zum Zentrum seiner Bemühungen macht und der anschlussfähig an ihre Lebenswelten wird.