Schulpastoral und Spiritualität

Grundlagen einer sozialraumorientierten Pastoral

Diskussionspapier: Grundlagen einer sozialraumorientierten Pastoral in der Diözese Würzburg

Sozialraumorientierung – eine Perspektiverweiterung

Sozialraumorientiertes Handeln ist gleichermaßen Chance und Herausforderung. Es erfordert eine Perspektiverweiterung und eine neue Haltung von kirchlichen Akteuren, die (weit) über das bisher Gewohnte und Praktizierte hinausgeht. Bisher gibt es weithin jeweils eigenständige, teilweise als Konkurrenz empfundene Handlungsebenen von Gemeinden/Pastoral und Caritas. Die gemeinsame Perspektive besteht vielmehr darin, diese in eine konstruktive Zusammenarbeit zu bringen.

Was ist Sozialraumorientierung?

Sozialraumorientierung trägt dazu bei, dass Menschen und Organisationen Verantwortung übernehmen für ihr Lebensumfeld (Gemeinde, Stadtteil, Pastoraler Raum, Dorf, Nachbarschaft) und neue Kooperationen entwickeln. Sie will Menschen, gerade auch Benachteiligte und Menschen am Rand, befähigen, gemeinsam mit anderen ihren Willen zu artikulieren. Sie ist dabei mehr als Sozialraumanalyse; sie ist Grundhaltung, andere in den Blick zu nehmen, genau hinzuschauen (z.B. wo Bedürftige sind), sich am Willen der Betroffenen zu orientieren, Empowerment zu leben und mit einer zielgruppen-übergreifenden Sichtweise in Netzwerken zu kooperieren. Die enge Kooperation mit anderen (kirchlichen) Akteuren bietet die Chance, sich für das solidarische Miteinander in den pastoralen Räumen und zugleich im Raum der Bürgergemeinde zu engagieren.

Die fünf Prinzipien der Sozialraumorientierung

Sozialraumorientierung basiert auf folgenden fünf Arbeitsprinzipien:

  1. Ausrichtung am Willen und den Interessen der Menschen

Dieser Wille – verstanden als Kraftquelle für Aktivitäten zur Gestaltung des eigenen Lebens – ist zu erkunden und so einzusetzen, dass Menschen ihr Leben eigenständig gestalten können.

  1. Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe

Diese zielt darauf ab, Menschen zu unterstützen, ihre eigenen Möglichkeiten zu entdecken und zu bestärken, damit sie die Ziele erreichen, die für sie wichtig sind.

  1. Konzentration auf die Ressourcen der Menschen und des Sozialraums

Eine konsequente Orientierung an den Stärken – und nicht an den Defiziten – der Menschen und der im Sozialraum vorhandenen Möglichkeiten unterschiedlichster Art, eröffnet eine wertschätzende, partnerschaftliche Art des Umgangs miteinander.

  1. Zielgruppen- und bereichsübergreifende Sichtweise

Eine positive und ganzheitliche Sicht auf den Menschen ist notwendig, um den nur auf eine Zielgruppe oder einen bestimmten Bereich begrenzten Blick zu weiten und den Kontext zu berücksichtigen, in dem diese stehen.

  1. Koordination, Kooperation und Vernetzung

Kirche präsentiert sich als „vernetzte Kirche im Sozialraum“. Alle kirchlich-caritativen Akteure suchen die Zusammenarbeit mit Einrichtungen (z.B. Kita, Schule, Altenheim, Sozialstation …), Initiativen (z.B. Hospizverein, Bund Naturschutz, amnesty international, Ehrenamtsvermittlung …)  und Menschen guten Willens, die sich im Interesse der Menschen einsetzen. Eine gut abgestimmte Zusammenarbeit aller Beteiligten ist hierfür eine wesentliche Voraussetzung.

Was erfordert die Sozialraumorientierung?

Die erweiterte Perspektive der Sozialraumorientierung bedeutet für die Akteure und Akteurinnen in den Pastoralen Räumen umzudenken: Was können wir zur Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen und zur Gestaltung des Gemeinwesens beitragen? Wie können/müssen wir unsere Potentiale und Ressourcen an dem Willen und den Bedarfen der Menschen vor Ort ausrichten, Schwerpunkte anders setzen oder Aufgaben anders erkennen? Welche bisher erledigten Aufgaben werden nicht mehr bearbeitet?

Neue Rollen und Perspektiven im Handeln der Akteure

Sozialraumorientierung knüpft mit ihren fünf Prinzipien an bewährten Ansätzen an. Sie bedeutet nicht, alles über Bord zu werfen, sondern die Perspektive auf die Kategorie des Sozialen Raumes und auf die Menschen, die hier in sozialen Beziehungen stehen, zu erweitern und Handlungskonzepte zu entwickeln, die in neuen Kooperationen Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen (wie z.B. Armut, Einsamkeit, Migration, demografischer Wandel etc.) suchen. Mitarbeitende werden ihre Kompetenzen beispielsweise in Richtung Moderation lokaler Prozesse, bereichsübergreifender Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams oder neuer partnerschaftlicher Arbeitsformen von beruflichen und nichtberuflichen Kräften erweitern. Es geht darum, auch weg zu kommen von einem Angebotsdenken hin zur Befähigung und Beteiligung im Sinne von selbstbestimmter Teilhabe und Förderung eines inklusiven Sozialraums. Sozialraumorientierung versteht sich als handlungsorientierter Ansatz, der – auch angesichts der „Herausforderung des Neuen“ – schon in kleinen Schritten Sinn macht.

Nachhaltigkeit sichern

Damit Sozialraumorientierung gelingt, ist die nachhaltige Finanzierung und Organisation sozialräumlicher Arbeit zu klären. Welche personellen und finanziellen Ressourcen werden auf welche Weise bereitgestellt und (neu) verteilt? Die damit verbundene Neuorientierung kirchlicher Arbeit muss mittelfristig gesichert und strategisch in der Organisationsentwicklung verankert sein. Verbindliche Rahmen- und Kooperationsbedingungen zwischen Pastoral und Caritas müssen definiert werden. Mehrwert und präventiver Charakter einer sozialraumorientierten Arbeit eröffnen definitiv auch neue Finanzierungsmodelle durch staatliche oder kommunale Förderprogramme.

Unsere Motivation

Ziel unseres kirchlichen Handels – motiviert aus unserem Glauben an einen liebenden Gott und an Jesus Christus, der uns die Nächstenliebe vorgelebt hat – ist ein solidarisches Gemeinwesen und soziale Gerechtigkeit. Kirche und Caritas sind in vielfacher Weise vor Ort präsent und haben Zugänge zu Menschen und Organisationen, die sie aktiv nutzen können. Mit der sozialräumlichen Haltung besteht die Chance auf eine positive Profilierung der Kirche vor Ort, d.h. auf ein evangeliumsgemäßes Handeln zum Wohl möglichst aller Menschen.

Die Sozialraumorientierung ist gemeinsamer Ausgangspunkt für die Umsetzung einer Pastoral der Zukunft, in einer den Menschen zugewandten und auf Gott ausgerichteten Lebensweise sprachfähige, kontemplative und solidarische Kirche zu werden.

AG Sozialraumorientierung (Michael Biermeier, Kilian Bundschuh, Ulrich Geißler, Christiane Holtmann, Claus Schreiner, Christine Steger)

Quellen:

„Caritas als Lebensvollzug der Kirche und als verbandliches Engagement in Kirche und Gesellschaft“, DBK – Kommission für caritative Fragen, 1999

„Rolle und Beitrag der verbandlichen Caritas in den pastoralen Räumen“, Deutscher Caritasverband 2008

„Raus aus den Containern: Viele pastorale Orte – gemeinsam diakonischer Auftrag“ (Michael Schüßler), Universität Tübingen 2010

„Solidarität im Gemeinwesen – Eckpunkte zur Sozialraumorientierung in der Caritasarbeit“, in: Neue Caritas 11/2013

„Sozialraumorientierung als Kooperationsprojekt“, Der Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Würzburg e.V., der Sozialdienst katholischer Frauen Würzburg e.V. und die Pfarreiengemeinschaft Heiligkreuz und St. Elisabeth (Stefan Weber), in: Ulrike Wössner (Hrsg.), Sozialraumorientierung als Fachkonzept Sozialer Arbeit und Steuerungskonzept von Sozialunternehmen

„Das Band der Einheit nicht zerreißen lassen“ (Franz Jung), 14.06.2020, Pressestelle Bistum Würzburg

„Pastoraler Raum“, Eckpunktepapier Diözese Würzburg, Gemeindeentwicklung und pastorale Konzeption, 15.09.2020

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