Theorie und Praxis

Als Gott ins Kino zurückkehrte…

Die neue (?) Sehnsucht nach dem Religiösen in „faith-based movies“. Von Martin Ostermann.

Im Jahre 2004 hatte im Vorfeld des Osterfestes der Film „Die Passion Christi“ des Regisseurs Mel Gibson seinen Deutschlandstart. Es gab zahlreiche Pressevorführungen und in allen großen Tageszeitungen und auf entsprechenden Portalen im Internet, im Fernsehen und im Radio wurde über „Die Passion Christi“ berichtet. Der Film rief ein geteiltes, überwiegend aber ablehnend-kritisches Echo hervor (vgl. zur späteren Auseinandersetzung mit den Themen des Films Zwick/Lentes 2004). Besonders kritisiert wurde das ungeheure Maß an Gewaltdarstellung. Weiterhin wurde kritisch angemerkt, dass der historisierende Umgang mit der Bibel den Evangelien nicht gerecht werde, eine schematische Gut-Böse-Darstellung in den Figuren eher zum Horror- als zum Bibelfilm tendiere und in der Darstellung der jüdischen Autoritäten Tendenzen zum Antisemitismus vorhanden seien.1 Als positive Reaktion bleibt festzuhalten, dass in den Feuilletons der großen Tageszeitungen zentrale Fragen des christlichen Glaubens über die Bedeutung von Kreuzigung und Auferstehung sowie die Frage nach Erlösung diskutiert wurden. Gleiches geschah in zahlreichen Diskussionsabenden im Kino oder im Anschluss an Filmvorführungen. Bei vielen (gläubigen) Menschen rief der Film keineswegs nur Ablehnung sondern auch tiefe religiöse Gefühle hervor.

Besonders überraschend war für die Filmindustrie der kommerzielle Erfolg des Films. Mel Gibson hatte im Vorfeld große Schwierigkeiten, Investoren für sein ungewöhnliches Filmprojekt zu finden, und musste den Film überwiegend mit eigenem Vermögen finanzieren (vgl. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien-rezept-fuer-blockbuster-1145412.html). „Die Passion Christi“ war außerordentlich erfolgreich, spielte mehr als eine halbe Milliarde Dollar ein und war eine Zeitlang unter den 100 kommerziell erfolgreichsten Filmen zu finden.

Dieser Erfolg führte zu einem Umdenken der großen amerikanischen Filmstudios: Für das Thema Religion, insbesondere für christliche Glaubenserzählungen gibt es ein Publikum und es lässt sich Geld damit verdienen. Die Marktforschung ermittelte drei wesentliche Gründe für den Erfolg des Films: „Die öffentliche Kontroverse, das von Kirchen unterstützte Marketing – und eine wachsende Sehnsucht des Publikums nach spiritueller Labung“ (Rodek 2016). Es wurden Abteilungen gegründet, die sich mit der Produktion entsprechender Geschichten beschäftigen sollten, z.B. Affirm Films bei Sony oder Fox Faith bei Twentieth Century Fox.

Diese neu gegründeten Abteilungen produzieren Filme nach Drehbüchern, in deren Geschichten Gott, Glaube, Wunder und das Heil der Menschen im Mittelpunkt stehen. Aufgrund dieser gezielten Produktionsweise entstand ein eigener Begriff für diese Art von Filmen: „faith-based movies“. Wörtlich meint dies „glaubensbasierte Filme“. Allerdings ist der Begriff mehrdeutig: Zum einen sind damit Filme gemeint, in denen (christlicher) Glaube einen wichtigen inhaltlichen Aspekt, wenn nicht sogar den zentralen Inhaltsaspekt darstellt. Zum anderen können mit dem Begriff aber auch Filme gemeint sein, welche an den (christlichen) Glauben der Betrachtenden appellieren. Bereits bei den biblischen Texten gibt es diese doppelte Perspektive: Die biblischen Berichte und Erzählungen wollen zum Glauben an den einen Gott führen, den Gott der Väter und den Gott Jesu. Zugleich sind die biblischen Texte aus der Perspektive von Glaubenden geschrieben, es sind Glaubensgeschichten. Ebenso verhält es sich mit „faith-based movies“2, nachfolgend etwas vereinfachend „Glaubensfilme“ genannt. In diesen Filmen werden Menschen gezeigt, die mit dem Glauben ringen, neue Zugänge zum Glauben entdecken oder aber den Glauben gegen Anfeindungen verteidigen. Vielfach stehen Heilungen bzw. das Heil-werden einer zuvor unheilvollen Situation sowie der Glaube an die Realität von Wundern im Zentrum. Wie bei den biblischen Texten gilt für die nachfolgend geschilderten Beispiele: Die Menschen im Entstehungsprozess der Filme (Verantwortliche für Drehbuch, Produktion und Regie) haben den Anspruch, den Glauben bzw. eine Glaubensbotschaft weiter zu tragen. Am Ende dieses Beitrages sollen auch noch Filme vorgestellt werden, für die diese Beschreibung nicht zutrifft: Weder muss ein Film, in welchem das Thema „Glaube an Gott“ zentral ist, eine mehr oder minder ungebrochene Glaubensgeschichte erzählen noch sind die Filmschaffenden stets selbst Glaubende. Einer der beeindruckendsten Filme des letzten Jahrzehnts, in dessen Zentrum der christliche Gottesglaube steht, ist von einem bekennenden Agnostiker gedreht worden: „Von Menschen und Göttern“ (F 2010, Regie: Xavier Beauvois). Aber dazu später mehr.

1. Was „faith-based movies“ ausmacht: Von Wundern, Heil und Bekenntnissen

Eine Mutter betritt den Reanimationsraum in einer Klinik. Das Team aus Ärzten und Pflegekräften hat soeben die Wiederbelebungsmaßnahmen bei dem vierzehnjährigen John Smith eingestellt. Der Junge war mit zwei Freunden im Eis eines Sees eingebrochen. Während die beiden Freunde sich schnell retten konnten, blieb John 15 Minuten unter Wasser bevor ein herbeigerufener Feuerwehrmann ihn doch noch aus dem eiskalten Wasser zog. Noch auf der Fahrt ins Krankenhaus begannen die Reanimationsmaßnahmen und seine (Adoptiv-)Mutter Joyce wurde angerufen und eilte ebenfalls in die Klink. Nun steht sie fassungslos vor dem leblosen Körper ihres Sohnes, weint, fleht und will die Situation auf keinen Fall akzeptieren. Sie schreit mehrere Stoßgebete unter Tränen heraus, so dass auch bei dem erfahrenen medizinischen Personal vor dem Raum (um der Mutter einen Augenblick allein mit ihrem toten Kind zu gewähren) Trauer und Verzweiflung spürbar werden. Joyce fleht, der Heilige Geist möge ihrem Sohn wieder Leben einhauchen und plötzlich zeigen die Überwachungsgeräte einen Puls an. Das Intensiv-Team eilt zurück, intubiert John und stabilisiert seinen Zustand. John wird per Hubschrauber in eine Spezialklinik verlegt, denn noch ist die Lebensgefahr nicht gebannt. Während der Zeit, in der John in der Spezialklinik im Koma liegt und seine Mutter nicht von seiner Seite weicht, ist die Gemeinde, in der die Familie Smith seit vielen Jahren zuhause ist, zum Gebet aufgerufen. Immer wieder wird die Hilfe Gottes angerufen und die Familie wird durch Gemeindemitglieder, Mitschüler und den Pastor am Krankenbett besucht. John erwacht nicht nur aus dem Koma, sondern wird wieder vollständig gesund. Der bis dahin nicht glaubende Feuerwehrmann, der John aus dem See rettete, erkennt das von Gott gewirkte Wunder und die (Film-)Geschichte endet mit einem Dankgottesdienst der Gemeinde für die Rettungskräfte und die Familie Smith.

Der mit diesen Szenen beschriebene Film „Breakthrough“ (USA 2019, Regie: Roxann Dawson) war 2019 einer der Kassenerfolge im Segment „faith-based movies“ und basiert auf den Memoiren von Joyce Smith, „The Impossible: The Miraculous Story of a Mother’s Love and her Son’s Ressurection“, gemeinsam geschrieben mit der christlichen Autorin Ginger Kolbaba (vgl. Steinhart 2019). „Breakthrough“ ist insofern ein gutes Beispiel, da er alle wichtigen Charakteristika eines (amerikanischen) Glaubensfilms enthält: Tatsächliche Ereignisse werden zuerst schriftlich verarbeitet und einer Deutung unterzogen. In dieser Deutung ist der Glaube in einer Notsituation die Ursache für die Heilung. Gott wirkt ein Wunder und schenkt neues Leben. Die filmische Inszenierung der Geschichte zielt direkt auf das Mitempfinden des Publikums: was kann es Schlimmeres geben, als dass eine Mutter bzw. Eltern ihr Kind verlieren? Was kann es Bewegenderes geben, als die spontane Rettung dieses Kindes? Die Botschaft ist somit eindeutig: Die Mutter, die Gott um das Leben ihres Sohnes anfleht und erhört wird, unterstützt von der im Gebet vereinten Gemeinde, ist der Beweis – oder mindestens das beste Beispiel – für das rettende Handelnde Gottes im Hier und Jetzt. Das Wunder, die Heilung und das Bekenntnis zu Gott greifen nahtlos ineinander. Inhaltlich ist daran auch erstmal nichts auszusetzen, denn es ist eine Hoffnungsgeschichte mit positivem Ausgang. Problematisch wird diese Geschichte durch die Erzählhaltung, die aufdringliche Inszenierung und die Überhöhung der Botschaft.

© Twentieth Century Fox

Breakthrough – Zurück ins Leben
Biopic | USA 2019 | 117 Minuten
Regie: Roxann Dawson

2. Geschlossene Erzählungen mit naiv-existenziellen Glaubensbotschaften

Filme erzählen Geschichten, sie tun dies mit den Mitteln „Story“ und „Discourse“. Kurz gefasst ist mit dieser Unterscheidung gemeint, dass die Story die Frage nach dem ‚Was‘ beantwortet, während es beim Discourse um das ‚Wie‘ der Darstellung geht (vgl. Ostermann 2016). Im Beispiel „Breakthrough“ beinhaltet die Story die Ereignisse rund um die Familie Smith und die Genesung des Sohnes John nach seinem Unfall, eingebettet in ein Umfeld aus christlicher Gemeinde und persönlichem Glaubensleben. Der Discourse behandelt die Art und Weise der Inszenierung und die Darstellungsmittel (Bildsetzung, Musik, Schauspiel). Eine konventionelle Dramaturgie (Einleitung, Mittelteil und Höhepunkt, Auflösung und Schluss) wird mit eindeutigen Zuspitzungen versehen (Joyce betet, Puls schlägt wieder; Feuerwehrmann zweifelt, nachher glaubt er), unterstützt durch sehr emotionale Darstellungen (vor allem Chrissy Metz als Mutter) und einen klassisch akzentuierenden Soundtrack (am Ende mit christlichen Popsongs). Die Erzählung kann als geschlossen bezeichnet werden, da durch Inszenierung, Schauspiel und Musikeinsatz keine Interpretationsspielräume eröffnet, sondern durch Zuspitzungen eindeutige Botschaften vermittelt werden sollen. Die oben beschriebene Krankenhausszene lässt keinen Zweifel an der Deutung, dass es sich um ein Wunder handelt. Personen innerhalb der Filmerzählung, die Zweifel äußern, tun dies nur kurz und stimmen schließlich in den Glauben der Mehrheit (im Film) ein. Zweifel wird auf ein reines Durchgangsphänomen reduziert. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich ein Wunder im christlichen Sinne ist, wird vom Film nicht ermöglicht und ist vermutlich auch nicht beabsichtigt. Es geht um das einfache Zeigen und nachvollziehen von Geschehen. Der Hintergrund, dass es sich um „true events“ handelt, tut dann ein Übriges: So und nicht anders ist es gewesen.

Die Rezeption von story und discourse geschieht individuell, d.h. der endgültige Film entsteht erst im Kopf der Betrachtenden. Wie eine Geschichte und deren Darstellung wahrgenommen und verarbeitet wird, ist abhängig von der individuellen Suche nach Identität, sowie persönlicher Sinnorientierung und Kontingenzbewältigung. Wer Kontingenz in Form des Verlustes eines geliebten Menschen im Leben erfahren hat, nimmt solche emotional gestalteten Szenen noch einmal anders wahr. Auch die eigene Sozialisation spielt eine große Rolle: Kann ich die dargestellten Rituale, Aussagen und Verhaltensweisen einordnen? Auf europäische Zuschauer wirkt das christliche Leben im amerikanischen mittleren Westen oft fremd. Die Sehnsucht nach klaren Aussagen und Handlungsweisen – also die Identifizierung mit den Menschen in ihren Nöten und Sorgen – kann jedoch wieder attraktiv sein.

Fast alle „faith-based movies“ aus dem beschriebenen Produktionsumfeld großer amerikanischer Filmstudios funktionieren nach dem Muster einer geschlossenen Erzählung, die sich durch einen naiv-existenziellen Zugang zum Glauben an Gott auszeichnet. ‚Naiv’ ist beschreibend gemeint, im Sinne von „ohne Voraussetzungen“, aber auch „ohne Auseinandersetzung oder Differenzierung“. Existenziell ist dieser Glaubenszugang, da grundlegende Situationen menschlichen Daseins angesprochen werden: (schwere) Krankheit, Verlust durch Tod, die Sinnfrage sowie das Streben nach Glück, das Theodizee-Problem (also die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens in der Welt) und die Erfahrung menschlicher Ohnmacht.

3. Problematische Gottesbilder und einfache Lösungen

Ein weiteres sehr bekanntes Filmbeispiel, welches die meisten genannten existenziellen Themen aber auch das dargestellte Muster enthält, ist der auf einem Bestseller beruhende Film „Die Hütte“, im Deutschen mit dem Untertitel „Ein Wochenende mit Gott“ versehen. Die Trauer des Familienvaters Mackenzie („Mack“) um seine jüngste Tochter Missy, die durch ein Gewaltverbrechen starb, führt zu einer Begegnung mit Gott (in drei Personen als Vater, Sohn und Geist) in der titelgebenden Hütte. Die existenzielle Tragik von Mack wird verstärkt durch die Tatsache, dass in eben jener Hütte die blutige Kleidung des verschwundenen Mädchens entdeckt wurde und man, obwohl eine Leiche nicht gefunden wurde, von Mord ausgehen musste. Zu dieser Hütte kehrt der trauernde und an sich selbst und Gott zweifelnde Mack aufgrund einer geheimnisvollen Nachricht zurück, um überraschenderweise Gott selbst zu treffen. Im Film wird Gott Vater mit der Anrede bezeichnet, die Macks Frau Nan im Gebet verwendet: „Papa“ – in Person einer Frau. Die Gottesbegegnung verhilft Mack dazu, seine Trauer und Wut zu überwinden, den Hass (auf den Mörder) in Versöhnungsbereitschaft umzuwandeln und (durch eine „Gerichtsszene“ mit Frau Weisheit) auch das Theodizee-Problem durch Vergebung in Liebe zu lösen.

Die Inszenierung arbeitet diese schwerwiegenden Problemstellungen in stark stilisierten Einstellungen geradlinig ab. Die Bilder zeigen die Hütte und das landschaftliche Umfeld als Postkartenidylle (des mittleren Westens der USA) und die Charaktere erfüllen weitgehend Funktionen ohne allzu viel an Tiefe zu gewinnen. Es gibt Verweise auf das biblische Gottesbild („Ich bin, der ich bin“), diese bleiben aber mehr Sidekicks. Es ist insbesondere das Gottesbild, welches einen eher zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Die Trinität wird in drei menschliche Individuen aufgelöst, deren biblische Herkunft als Gott des Exodus des Volkes Israel oder als jüdische Messiasgestalt sich nicht erschließt, sondern aufgrund von Bibelkenntnis in der Rezeption ergänzt werden muss. Bei den dargestellten Gottesfiguren handelt es sich um einen Wohlfühlgott, der eher dem Wunschnachbar gleicht, der immer hilfreich mit Wort und Tat zur Stelle ist.

Im (von der katholischen Bischofskonferenz verantworteten) Portal Filmdienst heißt es abschließend in der Filmkritik: „Der Film schwelgt in einem nichtssagenden Meer aus Schönheit und Güte, ohne Nachhall oder Widerstand. Die Wirklichkeit schrumpft darin zur austauschbaren Staffage eines religiösen Bewusstseins, das sich im suggestiven ‚Gott existiert’- Mantra euphorisch sediert.“ (Lederle 2017).

Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott
Drama | USA 2017 | 133 Minuten
Regie: Stuart Hazeldine
© Concorde Home Entertainment

4. Die Bibel als Handlungsanleitung im unkritischen Zugriff

Neben den geschlossenen Erzählungen, den naiven Gottes- und Glaubensbildern und den äußerst konventionellen Inszenierungsformen ist vor allem die Art und Weise des Zugriff auf die biblische Grundlage als problematisch anzusehen. Die klassische Phase der monumentalen Bibelverfilmungen waren die 1950er und die frühen 1960er Jahre, danach wurde es still um biblische Stoffe, wenngleich es immer wieder einzelne Filme gab (vgl. Ostermann 2014). Insofern hat die „Passion Christi“ auch hier zu einem Revival geführt. In den nun verfilmten Glaubens- und Nachfolgegeschichten sind die Protagonisten oft Zweifelnde oder Suchende. In „Auferstanden“ (USA 2016, Regie: Kevin Reynolds) ist es ein römischer Offizier, der in Krimi-Manier das Verschwinden der Leiche des gekreuzigten Mannes aus Nazaret untersuchen soll und in „Paulus, Apostel Christi“ (USA 2018, Regie: Andrew Hyatt), der von den gleichen Film-Produzenten stammt, begegnen sich der im Kerker sitzende Paulus und (der Evangelist) Lukas während der Verfolgung der christlichen Gemeinde in Rom zur Zeit des Kaisers Nero. Während „Auferstanden“ eine fiktive Geschichte mit biblischem Hintergrund erzählt, nimmt „Paulus, Apostel Christi“ direkt Bezug auf die Gefangenschaft des Paulus in Rom und legt der Figur Zitate aus den paulinischen Briefen in den Mund. Beide verbindet ein Zugriff auf die Bibel, der völlig frei ist von historisch-kritischen Erkenntnissen der biblischen Exegese und sich auch nicht scheut, Aussagen aus kanonischen Schriften mit Apokryphen unterschiedslos zu mischen.3 Die jeweils geschlossenen Heldenerzählungen – der heidnische Hauptmann wird Anhänger des Auferstandenen, dem er selbst begegnet, und der spätere Evangelist beweist trotz Verfolgung die Überlegenheit des christlichen Glaubens über die römischen Götter durch ein Heilungswunder – wollen die unerschütterliche Kraft des Glaubens am Beispiel von Heilung und Wundern zeigen, dieser Botschaft wird alles andere untergeordnet. Die Spannungen innerhalb der biblischen Schriften sowie die erzählerischen Lücken werden übergangen oder fiktional im Sinne der Botschaft gefüllt. In dieser Form des naiven „Zeigens“ des Inhaltes von biblischen Texten schließen neue „Glaubensfilme“ relativ nahtlos an die Monumentalfilme aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts an. Auch die Bibelfilme aus der klassischen Zeit Hollywoods entstanden für ein Publikum, für das christliches Glaubensleben und wörtliches Bibelwissen weitgehend zum Alltag gehörten. Es ist fraglich, ob 60 Jahre später mit den gleichen Mitteln Glaubensbotschaften in filmischer Form vermittelt werden können – oder sollen.

Paulus, der Apostel Christi
Bibelfilm | USA 2018 | 108 Minuten
Regie: Andrew Hyatt
© Sony Pictures Entertainment

5. Ein mögliches Gegenmodell: Fragen stellen, Distanz erzeugen, Reflexion fördern

Zu Beginn war der Film „Von Menschen und Göttern“ als Beispiel für eine ganz andere Form von „Glaubensfilm“ genannt worden. Die Geschichte der französischen Mönche im Kloster von Tiberine in Algerien zeigt statt Wunder und Heil eher eine sehr kontroverse Auseinandersetzung über die Frage, was eigentlich Nachfolge Jesu konkret bedeutet. Die Szenen, die das spirituelle Leben darstellen, sind auf dem Hintergrund der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Algerien zwischen Regierung und Islamisten jedoch umso eindrücklicher.

Ein jüngeres Filmbeispiel für einen „Glaubensfilm“ – ganz anderer Art als „Faith-based“ – ist „Maria Magdalena“ (GB 2018, Regie: Garth Davis). Die Frau, die in den vier Evangelien als erste Zeugin der Auferstehung auftritt, wird als Lieblingsjüngerin Jesu gezeigt. Ihr Weg in die Nachfolge und die daraus resultierenden Konflikte im Jüngerkreis aber auch mit der zeitgenössischen Umwelt werden aus der weiblichen Perspektive der Hauptfigur geschildert. Durch diesen ungewöhnlichen Blick wird nicht nur die Frage nach dem Charakter von Nachfolge gestellt, sondern die Inszenierung, die auf direkte biblische Zitate verzichtet und auch in den Figurenzeichnungen ganz eigene Wege geht, erzeugt Distanz aufgrund des Ungewohnten und fördert auf diese Weise zugleich die Reflexion über gewohnte Interpretationsmuster.

Maria Magdalena
Bibelfilm | GB 2018 | 120 Minuten
Regie: Garth Davis
© Universal Pictures International

Die Thematisierung von Glauben, Heil oder Wundern im Film kann nicht auf das Phänomen „Faith-based movies“ beschränkt sein, vielmehr stellt „Faith-based“ eher eine Randerscheinung im Gesamt der Filmproduktion dar. In Deutschland schaffen es die meisten Produktionen dieser Richtung nicht auf eine Kinoleinwand, sondern werden als Streaming-Angebot oder DVD ausgewertet. Selbst das zu Anfang beschriebene Beispiel „Passion Christi“ hatte in Deutschland und in Europa insgesamt nicht annähernd einen vergleichbaren Erfolg im Kino wie in den USA.4

Wenn Staunen und Zweifel gleichberechtigt neben den Glauben treten, wird eine wichtige Aufgabe des Religionsunterrichtes erreicht, die „Förderung religiöser Dialog- und Urteilsfähigkeit“ (Die deutschen Bischöfe 2006, 10). Sicherlich kann auch eine geschlossene Erzählung mit naiv-existenziellem Zugriff auf Bibel und Glaubensaussagen einen Beitrag leisten, um Ausdruckformen des Religiösen kennenzulernen. Dieser Beitrag bedarf dann aber eines kritischen Kontextes und muss didaktisch mit weiteren Aussagen und Materialien konfrontiert werden, um ein Urteil zu ermöglichen. „Faith-based movies“ verfolgen eher das Ziel zu zeigen, „Wahrheiten“ zu präsentieren und Glauben emotional bestärken. Die Thematisierung existenzieller menschlicher Grundsituationen macht sie attraktiv, die Form und das Niveau der Umsetzung sind ihre große Schwäche. „Auch das Fragen will im Religionsunterricht gelernt werden. Nur wer sich nicht mit vorschnellen Antworten zufrieden gibt, sondern konsequent weiterfragt, wird zu den letzten Fragen gelangen, die zum Menschsein gehören“ (Die deutschen Bischöfe 2005, 30).

Literatur

Die deutschen Bischöfe 2005, Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, Bonn. Online: https://www.dbk-shop.de/de/publikationen/die-deutschen-bischoefe-kommissionen/hirtenschreiben-erklaerungen/der-religionsunterricht-neuen-herausforderungen.html

Die deutschen Bischöfe 2006, Kirchliche Richtlinien für den katholischen Religionsunterricht in der Grundschule/Primarstufe, Bonn. Online: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/deutsche-bischoefe/DB85.pdf

Hasenberg, P. 2021, Geschichte und Ziele der katholischen Filmarbeit in Deutschland, in: Handbuch Theologie und populärer Film, Bd. 3, hrsg. von Bohrmann, T. u.a., Paderborn, 109-122, zitiert: 119.

https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neues-testament/paulinische-briefe/pastoralbriefe/

https://www.boxofficemojo.com/title/tt0335345/?ref_=bo_se_r_1

https://www.euangel.de/ausgabe-3-2014/bibel-und-mission/film-bildergeschichten-glaubenserzaehlungen-und-zitatfundus/

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien-rezept-fuer-blockbuster-1145412.html

https://www.katholisch.de/artikel/20675-passion-christi-2-mel-gibson-film-ueber-auferstehung-bald-fertig.

Lederle, J. 2017: Die Hütte – ein Wochenende mit Gott. Naive Adaption des gleichnamigen religiösen Erweckungsromans von William Paul Young, in: Filmdienst, https://www.filmdienst.de/film/details/549428/die-hutte-ein-wochenende-mit-gott#kritik

Ostermann, M. 2014, Bildergeschichten, Glaubenserzählungen und Zitatfundus. Filme als kulturelle Begegnungsorte mit der Bibel, in euangel 3/2014. Online:

Ostermann, M. 2016, Filmarbeit in Unterricht und Erwachsenenbildung, in: WiReLex, Online: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100134/

Rodek, H.-G. 20216, Warum Gott jetzt ins Kino zurückkehrt, in: Die WELT vom 26.03.2016, online: https://www.welt.de/153690745.

Steinhart, M. 2019, „Breakthrough“. Das Geschäft mit Gott, in: Zeit-Online am 20. Mai 2019. Online: https://www.zeit.de/kultur/film/2019-05/christliche-spielfilme-bibelfilme-breakthrough-gott?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com

Zwick, R./Lentes, T. (Hg.) 2004, Die Passion Christi. Der Film von Mel Gibson und seine theologischen und kunstgeschichtlichen Kontexte, Münster.

Bilder

Film Die Hütte: „Begegnung mit Gott“, Copyright: Concorde Home Entertainment

https://www.filmdienst.de/film/details/549428/die-hutte-ein-wochenende-mit-gott#bilder

Film Breakthrough: „Familie betet“, Copyright: Twentieth Century Fox

https://www.filmdienst.de/film/details/572971/breakthrough-zuruck-ins-leben#bilder

Film Paulus, der Apostel Christi: „Paulus und Lukas“, Copyright: Sony Pictures Entertainment 

https://www.filmdienst.de/film/details/561777/paulus-der-apostel-christi#bilder

Film Maria Magdalena: „Maria Magdalena“, Copyright: Universal Pictures International

https://www.filmdienst.de/film/details/551055/maria-magdalena-2018#bilder

Filmausschnitte/Trailer auf Youtube

Breakthrough Trailer, deutsch

https://www.youtube.com/watch?v=iYm6H6aLESs

Die Hütte, Filmausschnitte, deutsch

https://www.youtube.com/watch?v=cZceUWLpZkM

Paulus, Apostel Christi Trailer, deutsch

https://www.youtube.com/watch?v=Nm9tB6f9LZU

1 „Auf deutscher Seite gab es eine gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche und des Zentralrats der Juden, ein einmaliges Ereignis in der Geschichte der kirchlichen Filmarbeit. […] Ein […] Hauptpunkt der Kritik war die antisemitische Tendenz.“ (Hasenberg 2012, 109-122, zitiert: 119.)

2 Bereits Mel Gibson wurde nicht müde darauf hinzuweisen, dass sein Film aus einer tiefen Glaubenshaltung heraus entstanden ist und das Geschehen in seiner ganzen Tiefe und Wahrheit zeige. Gibson arbeitet bereits an einer „Fortsetzung“ (https://www.katholisch.de/artikel/20675-passion-christi-2-mel-gibson-film-ueber-auferstehung-bald-fertig).

3 Während „Auferstanden“ apokryphe Erscheinungserzählungen als Bezugspunkt aufweist, stützt sich die Situation in „Paulus, Apostel Christi“ auf den 2 Tim, der aber nach überwiegenden exegetischen Erkenntnissen nicht von Paulus stammt und erst lange nach seinem Tod geschrieben wurde. https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neues-testament/paulinische-briefe/pastoralbriefe/

4 Die Einspielergebnisse in den USA beliefen sich auf ca. 370 Mill. $, international waren es ca. 241 Mill. $: https://www.boxofficemojo.com/title/tt0335345/?ref_=bo_se_r_1

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