Gemeinsam in die Bildungs-Zukunft
Interview mit Dr. Christine Schrappe und Jürgen Engel. Das Interview führte Anja Legge.
Im Mai 2020 wurde die neue Hauptabteilung „Bildung und Kultur“ gebildet. Unter ihrem Dach sind die Bereiche „Schule und Hochschule“, „Erwachsenenbildung“, „Fortbildung und Begleitung“ und „Kunst“ vereint. Im Interview beleuchten Hauptabteilungsleiterin Dr. Christine Schrappe (CS) und der stellvertretende Leiter Jürgen Engel (JE) Hintergründe, Chancen und Perspektiven der Abteilung.
Mit den vier Unterabteilungen wird ein sehr weites Feld beackert. Was rechtfertigt die Zusammenlegung?
CS: Inhaltlich geht es bei „Bildung und Kultur“ um alles, was mit dem inhaltlichen Außenauftritt von Kirche zu tun hat. Hinzu kommen viele thematische Gemeinsamkeiten: Die brennenden innerkirchlichen Themen wie Frauenfrage, Ämterverständnis oder Missbrauch und gesellschaftliche Fragestellungen wie Menschenrechte, Nachhaltigkeit oder Klimawandel werden ja in allen Abteilungen aufgegriffen. Die Grundhaltung ist dabei überall gleich: Wir wollen die Werte und auch das Versagen der Vergangenheit und die Schätze der biblischen Tradition anschauen und diese für die Gegenwart erschließen. Denn um reflektiert Standort beziehen zu können, muss ich Geschichte, Fakten und theologische Grundpositionen kennen. Das gilt für den Religionsunterricht ebenso wie für die Erwachsenenbildung, ein Museumskonzept oder eine Kirchenraumgestaltung.
Daneben gibt es aber auch so manches Trennende. Da ist einerseits der verordnete, lehrplan-orientierte Religionsunterricht und andererseits das spirituelle Wanderangebot in der Erwachsenenbildung. Kann man das tatsächlich zusammenspannen?
JE: Ja, das kann man durchaus. Denn in beiden Formen geht es um religiöse Bildung. Und zwar um Bildung für alle von Jung bis Alt. Das Lehrplan-Gerüst ist einfach nötig, weil in der Schule noch ein Erziehungsauftrag dazu kommt.
Was ist also der Mehrwert der Zusammenlegung?
CS: Es geht darum, gemeinsam eine Art kairologischer Gegenwartssensibilität zu entwickeln. Welche Trends nehmen wir wahr? Welche Fragen haben die Menschen? Und vor allem: Welche Antworten haben sie bereits gefunden? Die enorme Vielfalt an Sinn- und Lebensentwürfen begegnet uns heute in jeder Schulklasse, in jedem Bildungshaus, in jedem Ausstellungskonzept. Diese große Bandbreite gesellschaftlichen Lebens wahrzunehmen, birgt ein großes Potential. Und da können wir als Fach-KollegInnen in einer Hauptabteilung voneinander profitieren.
Zum Beispiel?
JE: Ich denke da an Supervision und Coaching aus dem Fortbildungsbereich, die extrem wichtig für Glaubwürdigkeit und LehrerInnengesundheit sind. Welches andere Schulfach hat schon eine eigene Abteilung, auf die es so locker zurückgreifen kann? Das ist ein Riesen-Schatz! Außerdem würde ich mir wünschen, dass aktuelle Themen aus der Erwachsenenbildung in das Fortbildungsprogramm für Lehrkräfte aufgenommen werden. Umgekehrt kann „Theologie im Fernkurs“ sicherlich davon profitieren, wenn die Religionslehrkräfte eingebunden werden.
CS: Ich kann mir einen Fachpool vorstellen, in den jeder Ideen, Literatur oder ReferentInnentipps einbringen kann. In abteilungsübergreifenden Studientagen kann in die Zukunft gedacht und gemeinsames Lernen organisiert werden. In unserem Bistum dürfen Verwaltung, Strukturen und Finanzen nicht im Vordergrund stehen. Eine inhaltliche Hauptabteilung wie „Bildung und Kultur“ muss Zukunft gestalten.
Wie offen darf moderner Religionsunterricht heute sein? Möchte man Horizonte eröffnen oder kirchentreu machen?
JE: In der Realität ist Letzteres kaum noch Thema. Die Lehrkräfte sind ja keine KatechetInnen, sondern haben als Lehrende und Erziehende eine Doppelrolle: Sie geben Antwort auf die Frage „Was ist der Glaube?“ und stehen ganz konkret als Person für den Glauben. Spätestens bei der Frage: „Und wie machst Du das?“ braucht es das Bekenntnis. Hier wünsche ich mir für alle Religionen, dass wir weiter die im Grundgesetz gewährte Freiheit haben, in unserem staatlichen System als bekennende Menschen von unserem Glauben erzählen zu dürfen. Ums Missionieren darf es dabei nicht gehen, sondern darum, junge Menschen in den Glauben einzuführen, sie nachdenklich, offen und dialogfähig zu machen.
Wird Religion dann nicht zu einer Art „Religionskunde“?
JE: Das wünschen sich viele. Doch einseitiges Lernen mit nur der linken Gehirnhälfte – also rein analytisch, rational und sachlich – funktioniert eben nicht. Wir brauchen immer auch die rechte Gehirnhälfte, Symbole, Intuition, Unschärfen, die sich nicht klar beweisen lassen, aber ein Gespür dafür vermitteln, wie Leben gut gelingt.
CS: Ich halte es für wichtig, dass eine Religionslehrkraft um die Werte des Evangeliums weiß, aus diesen lebt und diese ins Heute übersetzen kann. Bildlich gesprochen: Mit einem Denar aus biblischer Zeit kann ich heute nicht mehr einkaufen. Ich muss den Wert dieser biblischen Geldmünze erst in Euros überführen.
JE: Da lege ich mal ein ganz konkretes Beispiel dazu: Der Name „Mohrenapotheke“ ist ja im Zuge der Kolonialismus-Debatte sehr in Misskredit geraten. Doch viele wissen gar nicht, dass der Mohr sprachlich vom Hl. Mauritius kommt und sein Glaubenszeugnis für Toleranz und Schutz steht.
So einfach ist es aber leider nicht immer. Zuweilen mündet die Übersetzung ins Heute zu heftiger Kritik an der Kirche.
CS: Richtig, aber es geht eben um verantwortete Kritik auf der Basis profunden Wissens und echter Auseinandersetzung. Das ist ein Grundwasserpegel, den wir nicht unterschreiten sollten. Denn sonst werden wir weder von der Wissenschaft noch von Kritikern ernst genommen.
Und wie ist das bei Angeboten von Bildungshäusern?
CS: Die Angebote unserer Erwachsenenbildung beschäftigen sich mit dem ganzen Spektrum gesellschaftlicher Positionen. Bildung bedeutet, Diskurse angemessen und verantwortet zu führen. Das führt natürlich nicht selten zu Fragen der Loyalität mit kirchlichen Positionen. Das ist im Religionsunterricht nicht anders: Eine Herausforderung, vor der ich größten Respekt habe. Doch genau da müssen wir unterstützen.
JE: Der Umgang mit dieser Ambivalenz ist für mich eine Frage der Authentizität von Kirche. Wie sehr unterstützt die Kirche ihre Mitarbeiter, dass sie in diesem Spagat nicht auseinandergerissen werden?
Wie sehr tut Kirche das denn?
JE: Wenn mich meine Arbeitgeberin Kirche in den letzten 30 Jahren nicht unterstützt hätte, wäre ich heute nicht mehr hier. Ich habe spirituelle Begleitung genossen, Supervision, Gruppen, in denen ich mich austauchen konnte. Da hat Kirche ein enormes Plus.
Der Erfurter Religionsphilosoph Professor Eberhard Tiefensee spricht von einer „Ökumene der dritten Art“ und fordert einen Perspektivwechsel im Umgang mit Nicht-Christen. Welche Folgerungen ergeben sich daraus für Sie?
CS: Gemeint sind hier ja nicht nur Andersgläubige oder Ausgetretene, sondern gänzlich areligiöse Menschen, die schon unsere Fragen nicht mehr verstehen und für die unsere Antworten keine Relevanz haben. Viele dieser Indifferenten haben ein hohes Ethos und eine stabile Feierkultur, sehen aber auch in Grenzsituationen keinen Anlass, zu beten. Not lehrt nämlich nur dann beten, wenn man schon vorher gebetet hat. An diese Menschen sollten wir nicht mit einer Haltung des Defizitären oder Therapeutisch-Pastoralen herantreten, sondern mit Neugier. Das heißt: Nachfragen, voneinander lernen, ins Gespräch kommen. Dann können wir erzählen, was wir selbst anzubieten haben. Auf Augenhöhe! Dann wird der Dialog nicht zum Relativismus, sondern bringt eine Schärfung der eigenen Position mit sich.
JE: In der Schule ist das ja gang und gäbe. Der Religionsunterricht bietet für solche Gespräche einen perfekten Rahmen. Für die Zukunft könnte ich mir gut vorstellen, in schulpastoralen Angeboten auch auf die Eltern zuzugehen.
CS: Das halte ich für einen guten Ansatz. Denn trotz aller Indifferenz gibt es eine große Sehnsucht nach Spiritualität, Sinn, Selbstfindung. Ein guter Weg ist es, in Schulen, Kliniken, Museen oder liturgisch nicht mehr genutzten Kirchen Sinn-Räume zu schaffen. Auch der stellvertretende Glaube wäre ein Modell für die Zukunft: „Ich spreche ein Gebet und lade Euch ein, dabei zu sein.“ Und schließlich: Als theologische Profis müssen wir mit Verlust umgehen können – etwa dem Verlust von Deutungshoheit und Relevanz. Auf dem Markt der Sinnanbieter werden wir künftig wohl nur noch ein Player unter vielen sein. Dafür aber ein superguter!