Offenes Ohr für Religionslehrkräfte
Bischof Franz Jung besucht die Religionslehrkräfte der Diözese Würzburg im „Virtuellen Lehrerzimmer“. Von Anja Legge.
Bei einem Virtuellen Lehrerzimmer im März sprachen Religionslehrkräfte mit Bischof Dr. Franz Jung über die Herausforderungen von Religionsunterricht heute. Einen breiten Raum nahmen dabei die aktuellen Krisen und Herausforderungen ein, aber auch Chancen und Visionen kamen zur Sprache.
Seit zwei Jahren gibt es das „Virtuelle Lehrerzimmer“ für Religionslehrkräfte im Bistum Würzburg. Neben Neuigkeiten und Infos bietet das Online-Format ein Forum zum schulübergreifenden Austausch. Mitte März konnten die rund 80 Teilnehmer mit Bischof Dr. Franz Jung einen besonderen Gast begrüßen. Anliegen des Würzburger Oberhirten war es, Religionslehrkräften angesichts der vielfältigen aktuellen Herausforderungen Rede und Antwort stehen und zu hören, wo der Schuh im Alltag drückt. Schon im Vorfeld hatten die Organisatoren Barbara Mack, Thomas Riebel und Schulreferent Jürgen Engel die Möglichkeit geboten, an einer virtuellen Pinnwand Themen zu nennen und Fragen zu formulieren. All das mündete in ein reges eineinhalbstündiges Gespräch, das von Offenheit und Wertschätzung geprägt war. Von vielen Lehrkräften überaus positiv bewertet wurde dabei, dass der Bischof ehrliches Interesse zeigte und zahlreiche konkrete Fragen stellte. Franz sei „der erste Bischof, der das Gespräch sucht und uns sein Gehör schenkt“. „So etwas habe ich in 22 Jahren noch nicht erlebt“, schrieb eine Teilnehmerin. Die Eindrücke und Erfahrungen der Beteiligten ließen ein lebendiges Bild von Religionsunterricht heute entstehen.
Die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche
Das Münchner Missbrauchsgutachten bezeichnete Bischof Franz als „mehrfachen Schock für die Kirche“. Zum einen, weil der Missbrauch in einer Institution geschehen sei, „die sehr hohe moralische Ansprüche formuliert“, zum anderen, weil die Fälle über Jahre hinweg vertuscht wurden und eine „völlige Hilflosigkeit“ offenbaren, „wie mit den Tätern umzugehen ist“; diese seien meist nicht persönlich zur Rechenschaft gezogen, sondern einfach ersetzt worden. Dass das „eine riesige Enttäuschung“ ist, könne er „sehr gut nachvollziehen“, so Bischof Franz. Einen Tag pro Woche widme er selbst der Aufarbeitung und dem Gespräch mit Betroffenen, versicherte er. In diesem „Raum voller Verletzung“ sei es oft schwierig, ein Gesprächsfundament zu finden, zumal die Schicksale, Ressourcen und Bedürfnisse sehr unterschiedlich seien.“ Kirchlich und gesellschaftlich spüre er „die Sehnsucht, dieses Thema schnell vom Tisch zu haben“. „Aber das geht nicht. Wir werden noch mindestens 10 bis 20 Jahre mit diesem Thema zu tun haben.“ Illusionslos zeigte sich Bischof Franz auch im Hinblick auf monetäre Wiedergutmachung: Die Kirche ist für einen Großteil der Kinder und Jugendlichen irrelevant und unsichtbargeworden, weil es oftmals kaum attraktive Angebote in den Gemeinden fürsie gibt. Der Religionsunterricht ist für sie die einzige Verbindungzur Kirche, aberwir können nichtdie Art von religiöser Erziehung leisten, die in Gemeinde und Familie passieren müsste. Wir Lehrerinnen leisten die religiöse Basisarbeit, da von den Elternhäusern nur noch wenig religiöses Wissen oder Haltungen mitgebracht wird. In der Kirche aber haben Frauen keinen Zugang zu den Ämtern. Dass da was nicht stimmt, merken auch schon meine Viertklässler/innen.
„Mit Geld kann man diese Wunden im Letzten nicht heilen.“ Auf die Frage, wie SchülerInnen mit dem Thema Missbrauch umgehen, berichteten die Lehrkräfte, dass vor allem KollegInnen und Eltern die Berichterstattung wahrgenommen haben. „KollegInnen zeigen in Gesprächen ihr Entsetzen über das Verhalten der Amtskirche. Manche Schulen lehnen kirchliche Religionslehrkräfte daher auch konsequent ab“, schrieb eine Lehrkraft. An anderen Schulen „verweigern KollegInnen wegen des Missbrauchs die Teilnahme am Schulgottesdienst und das Betreten eines Kirchenraumes“. Bei den SchülerInnen ist das Bild heterogen: Während eine Lehrkraft berichtete, dass „50 Prozent der Schüler der 8. Klassen sich „für die Kirche schämen, entsetzt sind über die Presseberichte, die Firmung ablehnen oder gar den Wunsch äußern, aus der Kirche auszutreten“, berichtet der überwiegende Teil, dass das Thema bei der Jugend eine eher untergeordnete bis gar keine Rolle spiele. „Missbrauchsskandale sind nichts Neues für die Schüler“, hieß es etwa. Ein Grund für das mehrheitliche Schulterzucken sei vermutlich, dass Kirche für viele Jugendliche nicht mehr relevant ist. Kirchliche und religiöse Themen würden vor allem dann wahrgenommen, „wenn es einen direkten Bezug zur Lebenswelt gibt“. Demgemäß wurde die Aktion „Out in Church“ als sehr positiv bewertet. Allgemein – so die Lehrkräfte weiter – fehle vielen Menschen die sichtbare Erfahrung, dass sich die Dinge in der Kirche zum Besseren verändern. Deshalb sei es wichtig, neben ehrlicher Aufarbeitung auch andere Themen zu stärken: „Wir müssen deutlicher kommunizieren, dass sich Kirche und die Menschen in der Kirche bewegen.“ Wie man als LehrerIn auf kritische Anfragen reagiert, fasste Jürgen Engel zusammen: „Im Grunde sind wir alle Bischöfe im Kleinen. Im offenen Feld der Schule sind wir oft die einzigen Repräsentanten der Kirche und führen diese Auseinandersetzung ohne Sicherungsnetz. Wir springen in diese Konflikte hinein und sind als Person mit unserer Berufung, unserem Wissen und Können herausgefordert, diesen Diskurs zu führen und Kritik auszuhalten.“
Maria 2.0 und Frauen in Ämtern der Kirche
Hinsichtlich der Frage, ob das kirchliche Weiheamt für Frauen zu öffnen sei, berichtete Bischof Franz, dass die Inhalte der Synodal versammlungen — vermutlich wegen der enormen Fülle und Dichte der synodalen Texte – oft nur wenig wahrgenommen werden. Dennoch seien von den Bischöfen bereits wichtige Texte („Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“, „Frauen im sakramentalen Amt“) mit großer Mehrheit verabschiedet worden. Klar sei, „dass wir diese Entscheidungen in Deutschland nicht allein treffen können“, und doch habe er selbst — gerade durch den Anstoß des Papstes zu weltweiten synodalen Beratungen – den Eindruck und die Hoffnung, „dass die Zeit gekommen ist, über diese Fragen zu sprechen“. Dr. Christine Schrappe, Leiterin der Hauptabteilung „Bildung und Kultur“ machte zugleich darauf aufmerksam, dass man sich „in der Diskussion nicht nur auf Amt und sakramentale Weihe beschränken“ sollte. Frauen könnten die Zukunft von Kirche auch gestalten, wenn sie in leitender Position in Personalabteilungen, Caritas, Finanz- und Bauämtern tätig sind. „Da hat sich in unserem Bistum bereits viel getan!“
Haben die Frohe Botschaft und „das Gute von Kirche“ noch Platz im Leben der Menschen?
Einen hohen Stellenwert haben nach Auskunft der Lehrkräfte Krisenseelsorge und Krisenintervention. „Viele SchülerInnen, aber auch KollegInnen und Leute aus der Verwaltung kommen zu mir und sagen: Ich habe Angst“, berichtete ein Lehrer und verwies auf die daraus erwachsende Chance: „Ja, die Angst ist da, aber wir haben eine Hoffnung zu bieten. Denn unser Gott lässt uns nicht alleine.“ Jeder einzelne könne zeigen: „Wir sind keine anonyme, abstrakte Kirche, sondern wir sind da, bei dir, bei den Menschen, wir hören dir zu!“ Obwohl viele Schüler nicht mehr christlich sozialisiert sind, seien die Sinnfragen weiterhin da: „Das Interesse an großen Fragen des Lebens ist ungebrochen“, so Thomas Riebel. Oft sei ein Ge spräch leichter zu beginnen, „wenn man nicht gleich mit dem Wort Kirche kommt“, fügten einige hinzu. Die oft zitierte Trennung zwischen eigenem Glauben und Amtskirche führt dabei unweigerlich zur Identitätsfrage, nämlich ob man sich als Relilehrer von Amtskirche distanzieren müsse. Die Lehrerschaft beantwortete das einhellig: „Wir alle sind Kirche!“ Und: „Ich kann nur etwas zum Positiven verändern, wenn ich dabeibleibe.“
Welche religiösen Themen sind bei den SchülerInnen „dran“?
Beziehungsgestaltung und Zusammenleben, Ehe, Partnerschaft, Familie, Nächstenliebe, Ethik, Werte und Normen, die Frage nach dem Sinn des Lebens und gelingender Lebensgestaltung sind ebenso wichtige Jugend-Themen wie Zivilcourage, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Extremismus und Abtreibung. Hinzu kommen Angst, Schulversagen, Depressionen, Mobbing, Sucht, Einsamkeit, Sterben und Tod. Breiten Raum nehmen auch Krisen ein: Klimaschutz, Artensterben und verantwortungsvoller Konsum, Corona, UkraineKrieg, Flüchtlinge sowie die Frage nach Leid und Krieg (Theodizee) und der christlichen Zukunftshoffnung. Hinzu kommen handfeste Themen wie der historische Jesus, die Entstehung der Bibel, die Frage nach Schöpfung und Evolution und vor allem bei Jüngeren die biblischen Geschichten. Nach Erfahrung der Lehrkräfte bietet das Fach Religion vor allem Raum für die Sorgen und Ängste der SchülerInnen. „Sie wollen, dass sich jemand ihren Fragen stellt, sie brauchen Menschen und Zeiten, um über diese Themen zu reden“, „sie sehnen sich danach, dass man ihnen zuhört, nach Geborgenheit, Lebendigkeit und gemeinschaftlichen Erlebnissen“ und „sie suchen Momente der Freude und Licht“, hieß es. Sei das Gespräch erst einmal am Laufen, seien die Schüler oft erstaunt, dass es zu ihren Fragen Antworten aus religiöser Sicht gibt, „dass Religion tatsächlich etwas mit ihren Sorgen, Gedanken und Gefühlen zu tun hat“.
Kooperativer Religionsunterricht während der Corona-Pandemie
Während einige hier gute Erfahrungen gemacht haben, äußerte die Mehrheit der Lehrkräfte Unmut: Wenn man konfessionsübergreifende Kooperation wolle, brauche es zunächst eine gemeinsame Basis wie Kompetenzstrukturmodelle und Lehrplanthemen. „Bevor diese Basisarbeit nicht geleistet ist, kann man von den Lehrkräften nicht verlangen, das Rad neu zu erfinden.“ Vielerorts wurde zudem ein neutraler Werteunterricht erwartet. „Wenn wir das dann nicht getan haben, gab es oft Widerspruch: Wir mussten diskutieren, uns verteidigen“, resümierte Barbara Mack. Dass sie nur noch über allgemeine ethische Themen sprechen sollten, habe „vielen Kollegen weh getan, weil sie für ihr Fach brennen“, bestätigte Jürgen Engel. Als getaufte Christen wolle man „sich nicht relativieren als Weltanschauungslehrer, sondern als Kind Gottes vor den SchülerInnen stehen“, brachte es ein Lehrer auf den Punkt. In eine ganz ähnliche Richtung deutet das Fehlen aktueller Schulbücher, was die Arbeit „anstrengend, ermüdend und frustrierend“ mache. Um sich ein Bild vom Religionsunterricht zu machen, lud Dorothea Weitz von der Mitarbeitervertretung den Bischof dazu ein, die Schulen selbst zu besuchen, was dieser auch sofort zusagte. Zugleich appellierte sie dazu, Jugendarbeit und Bildungshäuser von finanziellen Kürzungen zu verschonen, damit junge Menschen auch künftig religiöse Erfahrungen machen können. „Die Jugendarbeit ist da ein wichtiger Zugang!“
Die Vision des Bischofs für den Religionsunterricht der Zukunft
Seine große Sorge gelte zum einen dem Erhalt des konfessionellen Unterrichts, versprach Franz Jung. Wichtig sei ihm zudem die tatkräftige Unterstützung der Religionslehrkräfte, denn: „Sie sind das Gesicht von Kirche vor Ort, Sie erreichen Kinder und Jugendliche, sind ein wichtiger Link zur Lebenswelt der Menschen heute.“ Damit dies so bleibt, bat er auch künftig um Gespräch und Expertise, denn: „Sie sind die Fachleute!“
Ein großes DANKE
Bischof Franz dankte den Lehrkräften „für alle Solidarität in den vergangenen schwierigen Monaten, für die Leidenschaft für das Fach, für die Phantasie, um das, was Ihnen selbst am Herzen liegt, zu vermitteln, für den breiten Rücken, für Kirche einzustehen, dafür, dass Sie Ohnmacht und Hilflosigkeit aushalten.“ Die Lehrkräfte wiederum äußerten ihre Dankbarkeit für das offene Ohr, das „Gespräch auf Augenhöhe“ und die Bereitschaft, Rede und Antwort zu stehen. Dies habe man „als echte Wertschätzung“ empfunden, schlossen die Religionslehrerinnen und Religionslehrer und baten darum, dieses Gesprächsformat zu wiederholen oder gar zu etablieren.