Stundenentwürfe,  Theorie und Praxis

Freiheit macht wach

Kreativwerkstatt 2023: Jesus Christus für die 10. Klasse. Von Martina Vogel und Andreas Hanel. Vorgestellt von Anja Legge.

Jesus Christus – war er real oder nur Fake? Diese Frage haben sich zwei Religionslehrkräfte in der Kreativwerkstatt gestellt und gemeinsam eine Unterrichtseinheit für den Religionsunterricht in der 10. Klasse an Realschule und Gymnasium erarbeitet.

Kernanliegen des Fortbildungsformats, das das Schulreferat seit 2022 anbietet, ist es, „dass Religionsleherkräfte gemeinsam in intensivem Austausch professionelle Unterrichtsmaterialien zu relevanten Themen in der jeweiligen Schulstufe erstellen“, sagen die beiden Ideengeber der Kreativwerkstatt Barbara Mack und Thomas Riebel. Das entstandene Material wird nun nach professioneller Durchsicht im Hinblick auf Urheberrecht und Layout unter dem Namen der AutorInnen hier veröffentlicht und anderen Lehrkräften zur Verfügung gestellt.

Begleitet wurde die Kreativwerkstatt in diesem Jahr von Dr. Christian Back, Referent für die Berufsschulen, und Barbara Mack, Referentin für Religionsunterricht und Digitalität. Thema war der Lernbereich 3 in der Jahrgangsstufe 10: „Jesus Christus“. Dass sich nur zwei Lehrkräfte für das Format angemeldet haben, findet Barbara Mack sehr schade, denn „die Synergieeffekte sind enorm. „Durch die Arbeitsteilung ist es eine Win-win-Situation für alle Teilnehmenden.“ Das sehen Martina Vogel, Religionslehrerin im Kirchendienst an der Maria-Ward-Realschule Aschaffenburg und an der Realschule Elsenfeld sowie Schulseelsorgerin an der Maria-WardRealschule, und Priester Andreas Hanel, Schulseelsorger an der Maria-Ward-Schule (Gymnasium und Realschule), ähnlich. Beide hatten bereits im Relilab gute Erfahrungen mit dieser Arbeitsweise gesammelt. Martina Vogel gefiel zudem „der Gedankenaustausch von theologischer Tiefe und hoher Fachkompetenz, das hat wirklich Spaß gemacht“, sagt sie. Zugleich hatten beide Lehrkräfte gehofft, „dass mehr Leute mitmachen und ihre Ideen einbringen“, gerade weil es genug Ansatzpunkte gab, „die man zu einer Sequenz für acht Wochen ausarbeiten kann“.

Insgesamt vier Mal – live und per Videokonferenz – haben sich Vogel und Hanel getroffen. Ihre Unterrichtsstunde für die 10. Klasse an Gymnasium und Realschulen, die Martina Vogel übrigens direkt entsprechend des Lehrplans KR10 Lernbereich 3: „Jesus Christus Fragen und Bekenntnis“ eingesetzt hat, drehte sich um die Frage: „Jesus Christus – war er real oder nur Fake?“ Gleich zu Stundenbeginn erhielten die SchülerInnen einen verschlossenen anonymen Brief „aus einer Welt, die Du noch nicht kennst“ und „die Dir noch verborgen ist“. Der Schreiber lädt sein Gegenüber dazu ein, sich einzulassen „in den Zauber und die Schönheit“ seines menschlichen Lebens, warnt aber zugleich vor „schrecklichsten Dingen“ und vor den Zweifeln mancher „ich hätte nie gelebt“. Am Ende des Briefes stehen drei Fragen und die Bitte um eine Antwort: „Hast Du schon eine Idee oder einen Gedanken, wer ich bin? Was denkst Du über mich? Oder habe ich nie existiert und Du liest hier den kompletten Blödsinn?“

Mit diesem Brief durften sich die SchülerInnen für zehn Minuten im Schulhaus oder auf dem Pausenhof zurückziehen und eine kurze Antwort schreiben. Zurück im Klassenplenum wurden erste Überlegungen über den möglichen Autor angestellt. „Wichtig ist, dass niemand sich äußern muss und alle Vermutungen und Meinungen wertfrei erlaubt sind“, betont Martina Vogel. Danach konnten die Jugendlichen in Zweierteams über ihre Antworten sprechen und landeten dabei wie von selbst in einer sehr persönlichen Diskussion über die Person Jesu. Bei dieser Form des kompetenzorientierten Unterrichts haben die SchülerInnen auf Wissen aus den vergangenen Schuljahren zurückgegriffen, Wissen miteinander geteilt, unterschiedliche Positionen beleuchtet und sich zumindest ansatzweise philosophisch mit der Person Jesu auseinandergesetzt“, beschreibt Andreas Hanel die Erfolge des Konzepts.

Die SchülerInnen wiederum fanden es „cool, dass sie das Vertrauen bekommen haben, sich zurückzuziehen, und waren stolz, dass sie recht schnell entschlüsselt haben, um wen es geht“, berichtet Martina Vogel. Zugleich haben sie es „genossen, nicht alles sagen zu müssen, und in aller Offenheit Fragen stellen zu können“. Ihre 10. Klasse, die bisher meist stumm vor ihr saß, habe „diese Freiheit im Zugang regelrecht wachgerüttelt“. So wach, dass Vogel in den darauffolgenden Wochen mit den SchülerInnen eine Talkshow mit dem Titel „Jesus – war er ein Fake oder hat er wirklich gelebt?“ aufzog.

Zunächst wurde gemeinsam Wissen über Jesus gesammelt. „Wir haben historische Quellen wie Sueton, Flavius Josephus und Tacitus angeschaut, die Berichte in den Evangelien nachgelesen und uns mit aktuellen Wissenschaftlern und Kritikern beschäftigt“, so Vogel. Für die RealschülerInnen sei „diese andere Perspektive, die Auseinandersetzung mit dem historischen, dem biblischen und dem Jesus des Glaubens sowie das Herantasten an wissenschaftliches Arbeiten“ völlig neu gewesen; dennoch waren sie „mit großer Begeisterung dabei, weil sie so Material für ihre späteren Rollen und ihre Moderationskarten in der Talkshow gesammelt haben“.

Ohne es geplant zu haben, wurde die Talkshow zu einem Event für die gesamten 10. Klassen: „Die evangelische Fachschaft ist mit eingestiegen, und auch die islamischen und bekenntnislosen Schüler aus dem Ethikunterricht wollten unbedingt mitdiskutieren“, so Vogel. Nach einem kurzen Einstiegsfilm eröffnete Martina Vogel die Diskussion für die Jugendlichen. Sie alle waren für die Talkshow in frei gewählte Rollen geschlüpft: Ein Pfarrer, eine Influencerin und ein Rentner saßen ebenso in der Runde wie ein Wissenschaftler, ein Astronaut, ein Basketballprofi und eine Ordensfrau. Sie alle haben gemeinsam die Frage nach Jesus Christus erörtert und für oder gegen die Existenz von Jesus argumentiert. „Der Physiker erklärte, dass die Wunder rein physikalisch nicht geschehen sein können. Der Muslim stellte klar, dass er Jesus Christus als Prophet kennt, und der Astronaut stellte die Behauptung in den Raum, das es durchaus noch mehr intelligentes Leben im Universum geben könnte.“ Nach Auskunft von Martina Vogel haben sich die SchülerInnen stark mit ihren selbstgewählten Rollen identifiziert und sogar die Lebensgeschichten ihrer Figuren mit hineingebracht. „In der Rolle konnten sie plötzlich sprechen, und irgendwann werden sie auch ohne Rolle sprechen können“, hofft die engagierte Lehrerin.

Mit Hilfe des eher unkonventionellen, freien Formats schätzten sie historische Zeugnisse über Jesus ein, diskutierten das Jesusbild im Islam, stellten Bezüge zum christlichen Zeugnis her, nahmen Stellung zu Christusbildern aus der profanen Kultur und entwarfen ein vielschichtiges Bild von Jesus Christus. „Ganz nebenbei wurden so wichtige Kompetenzen erworben“, schmunzelt Vogel. An der Staatlichen Realschule Elsenfeld hat das Projekt übrigens sogar den Raum für weitere Diskussionen geöffnet: Eine zweite Talkshowrunde zum Thema „Todesstrafe“ wurde für den Juli anberaumt.

Die Unterrichtsmaterialien können Sie hier herunterladen.

Bild: Thomas Schutze auf Unsplash.com

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